Ungedeckte Schuldzuweisungen und eigenwillige Meldungen lassen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Polizeisonderheit aufkommen
Aus Rostock Daniel Schulz (veröffentlicht in der taz am 8. Juni 2007)
Die Meldung von gestern Mittag klang dramatisch: Die Blockierer der Zufahrtsstrassen zum G-8-Tagungsort Heiligendamm bauten Brandsätze und sammelten Steine. Ausschreitungen seinen zu befürchten. Vor Ort jedoch bot sich taz-Reportern und anderen Augenzeugen ein anderes Bild: Sowohl beim Dorf Börgerende als auch zwischen Bad Doberan und Heiligendamm sahen sie nur friedliche Blockierer auf den Straßen sitzen. Selbst die Polizisten vor Ort schätzten die Lage ruhig ein: „Die sind doch friedlich, daher können sich bisher auch bleiben.“ Welche Darstellung stimmt? In den vergangenen Tagen erwies sich manche Meldung, die die Polizei an die Öffentlichkeit gab, als von zweifelhaftem Wahrheitsgehalt. So sollen bei den Blockaden der Gruppe G8 vorgestern bereits Steine geflogen sein, die unabhängige Augenzeugen und anwesende Journalisten aber nicht gesehen haben. Später ließ die Polizei verbreiten, nach den Ausschreitungen seien stark verletzte Beamte mit Hubschraubern zur Behandlung ausgeflogen worden. Dabei wurde lediglich einige Beamte vor Ort wegen leichten Verletzungen verarztet. Die aufsehenerregendste Meldung der Polizeisonderheit Kavala war sicherlich die von der Säure-Attacke: Demonstranten in Clowns- Konstümen sollen Polizisten mit einer chemischen Flüssigkeit besprüht haben. „Acht Polizisten mussten ins Krankenhaus“, behauptete Polizeisprecher Axel Falkenberg am Dienstag.
Inzwischen stellte sich heraus, das ind den zwei Rostocker Kliniken nach Angaben eines Sprechers nur zwei Polizisten nach dem „Kontakt mit einer unbekannten Flüssigkeit“ untersucht wurden. Ein Krankenhaussprecher kommentierte die angeblichen Verätzungen gegenüber Spiegel Online damit, dass „möglicherweise alles ganz harmlos“ sei. Auch mehrere Polizisten widersprachen den Darstellungen der Kavala: Die Clowns seien bisher absolut friedlich aufgetreten, die Flüssigkeit sei Seifenwasser.
Bei der Kavala-Pressestelle weist man jeglichen Zweifel an der Integrität der eigenen Arbeit zurück: „Wir streuen keine Falschmeldungen“, sagte ein Sprecher. „Und was diese Flüssigkeit ist, können wir noch nicht sagen, sie wird noch untersucht.“ Warum dann die eilige Schuldzuweisung an die Clowns? Und warum gehen derart zweifelhafte Erkenntnisse in polizeiliche Gutachten ein, mit denen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit begründet werden? Als das Bundesverfassungsgericht das Demonstrationsverbot um den G-8 Tagungsort bestätigte, wollte das Demonstrationsbündnis Ersatzveranstaltungen anmelden, darunter eine Kundgebung in Kühlungsborn. Kavala lehnte am Mittwoch mit einer elfseitigen Begründung ab, die der taz vorliegt. Darin werden auch ungesicherte Informationen angeführt, wie die, dass „Polizeikräfte gezielt mit chemischen Flüssigkeiten angegriffen“ würden – obwohl de Zweifel an dieser Darstellung schon bekannt waren. Auf Seite 5 argumentieren die Beamten mit einer angeblich hohen Gewaltbereitschaft der Demonstranten, die die Straßen nach Heiligendamm blockieren wollen: „Hierbei gingen die Autonomen mit brutaler Gewalt unter Verwendung von Äxten, Steinen, Brandsätzen etc. vor, wobei sie auch nicht vor Angriffen auf Polizeibeamte zurückschreckten.“
Die Glaubwürdigkeit der Polizei beschädigt in den Augen der Protestler auch ein anderer Vorfall: Vorgestern war den Teilnehmern der Blockade zwischen Bad Doberan und Heiligendamm eine Gruppe von fünf Maskierten aufgefallen, die tschechische Protestierer aufforderten, Steine zu werfen und härter gegen die Polizei vorzugehen.
Mehrere Blockierer sprachen die Anheizer an und umstellten einen von ihnen. Weil mehrere Demonstranten aus Bremen glaubten einen Zivilpolizisten aus ihrer Stadt erkannt zu haben, forderten sie ihn auf, seinen Ausweis zu zeigen. Als er sich weigerte, wurde er zu Polizisten geführt, die ihn dann in ihre Mitte aufnahmen. Diese Szene wurde auch von Journalisten der taz und anderer Medien beobachtet. Bisher weist die Polizei jegliche Verbindung zu den Krawallsüchtigen zurück. „Das würde der Vorgehensweise der Polizei aller Bundesländer widersprechen“, so ein Kavala-Sprecher gestern.
Mitarbeit: Malte Kreuzfeldt
Militär im Polizeieinsatz
Aufklären und terrorisieren: Bundeswehr leistet zum G8-Gipfel weit mehr als „Amtshilfe“. Linksfraktion droht mit parlamentarischen Nachspiel.
Von Frank Brendle (erschienen in der Junge Welt am 8. Juni 2007)
Die Bundeswehr probt zum G-8-Gipfel mit massiver Präsenz den Inlandseinsatz. Unter den Tarnbegriff der „technischen Amtshilfe“ arbeitet sie nicht nur der Polizei zu, sondern übernimmt selbst klassische Polizeiaufgaben wie die Erstellung von Lagebildern. Wer in diesen Tagen auf der Autobahn in Richtung Rostock unterwegs ist, kann die zahlreichen Panzerwagen am Straßenrand und auf den Brücken gar nicht übersehen. In Bad Doberan ist das Krankenhaus von Feldjägern umzingelt, und die Teilnehmer der Blockadeaktionen berichten von Militärhubschraubern, die über ihren Köpfen fliegen. Auch die Camps der Gipfelgegner wurden nach jW-Informationen von Tieffliegern der Bundeswehr terrorisiert. Der Paralamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag, Ulrich Maurer, warf Innenminister Wolfgang Schäuble und Verteidigungsminister Franz Josef Jung (beide CDU) am Donnerstag vor, „ihre Vorstellungen für einen Bundeswehreinsatz im Inneren am Bundestag vorbei in die Tat umzusetzen.“
Die Marine richtete gestern erneut einen See-Shutle für Journalisten ein, nachdem die Bäderbahn wieder blockiert worden war, die für den Transport vorgesehen ist. Außerdem wurden Gipfelteilnehmer von Flughafen Rostock-Laage nach Heiligendamm geflogen. Der Einsatz beschränkte sich auf drei Hubschrauber des Typs CH 53, so ein Sprecher der Wehrbereichsverwaltung Kiel. Außerdem habe am Mittwoch ein Hubschrauber sowohl verletzte Polisten als auch Demonstranten ins Krankenhaus geflogen. Teilnehmer der Proteste, die am Mittwoch und Donnerstag zeitweise bis unmittelbar an den Sperrzaun vorgedrungen waren, berichteten allerdings, ihnen seien weit mehr als drei Hubschrauber aufgefallen, die mit den Worten „Heer“ sowie „Luftwaffe“ markiert gewesen seien. Diese hätten offenkundig die Blockaden beobachtet, um die Bilder an die Polizei weiterzugeben. Zahlreiche Demonstranten und Medienvertreter berichteten außerdem, sie hätten gepanzerte Transportfahrzeuge der Bundeswehr beobachtet. Eine offezielle Bestätigung dafür gab es nicht. Auf die Frage, ob die Bundeswehr auch Polizisten befördere, reagierte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums ausweichend: „Natürlich können wir im Wege der Amtshilfe Einsatzkräfte von A nach B bringen.“ Er könnte aber nicht sagen, ob oder in welchem Umfang das geschehen sei. Die Feldjäger in Bad Doberan dienten nur dem Schutz der dort eingesetzten Sanitätskompanie. Wie hoch deren Schutzbedürfnis sei und wie viele Feldjäger an welchen Orten überhaupt im Einsatz seien, dazu gab es keine Auskunft.
Der Militärsprecher bestätigte aber, dass entlang der Autobahn Panzerspähwagen des Typs „Fennek“ im Einsatz seien. Diese erstellten im Auftrag der Polizei Lagebilder. Die Anzahl dieser Panzerwagen wurde nicht verraten, Augenzeugen zufolge handelt es sich mindestens um eine Duzend. Mit ihrer Technik können „Bummelstaus“ genauso identifiziert werden wie Reisebusse mit potentiellen Demonstranten. Das wäre eigentlich Aufgabe der Polizei, auf deren Einsatzgestaltung die Bundeswehr nun selbst direkt Einfluss nimmt. Mit „logistischer Unterstützung“ und „Amtshilfe“, die da Militär laut Artikel 35 des Grundgesetzes in Friedenszeiten leisten darf, hat das nicht mehr viel zu tun. Die Linksfraktion wirft der Regierung vor, den Bundestag über den wirklichen Umfang des Militäreinsatzes rum um Heiligendamm belogen zu haben und kündigte ein parlamentarisches Nachspiel an.
Zwischenbilanz
Über 1000 Festnahmen
Von Wera Richter (veröffentlich in der Junge Welt am 8. Juni 2007)
Am Mittwoch und in der Nacht zu Donnerstag ging die Polizei rund um Heiligendamm zum Teil mit äußester Gewalt gegen Demonstranten und Blockadeteilnehmer vor. Wasserwerfer, Tränengas und Schlagstöcke waren freigegeben. Zahlreiche Menschen wurden durch Schläge und Tritte teils schwer verletzt. Demosanitäter und Ärzte wurden daran gehindert, Verletzte zu versorgen. Der bekannte Berliner Arzt und politische Aktivist Dr. med. Michael Kronawitter wurde bei der Ausübung seiner Arbeit verhaftet. Er soll bis zum heutigen Freitag in Unterbindungsgewahrsam bleiben. Kronawitter wird vorgeworfen, er habe sich als Arzt verkleidet, um Störungen des G-8-Gipfels koordinieren zu können. Auch Journalisten und Anwälte wurden laut Pressemitteilung der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) vom Donnerstag an der Ausübung ihrer Tätigkeit behindert. Kritische Medienerstatter seien bei der Dokumentation von brutalen Festnahmen selbst Opfer von Polizeigewalt geworden und in Gewahrsam genommen worden. Nach Auskunft der ALB zeichnete sich das Verhalten von Berliner Polizeieinheiten durch besondere Aggressivität und Gewalttätigkeit aus.
Nach Polizeiangaben gab es am Mittwoch bis 21 Uhr 147 Festnahmen und 25 Ingewahrsamnahmen. In der Nacht zum Donnerstag wurden 300 Menschen verhaftet. Am Donnerstag morgen ging es laut Pressesprecher der Polizeidirektion Rostock um 7 Uhr mit 200 „freiheitsentziehenden Maßnahmen“ weiter. Eine Gesamtzahl der zu dem Zeitpunkt Inhaftierten konnte er gegenüber junge Welt nicht nennen, da es sich um einen „stetigen Prozeß“ handele. Das konnte der Republikanische Anwältinnen und Anwälteverein (RAV) nut bestätigen: „Die Zahlen gehen stündlich nach oben.“ Insgesamt seien bei den Gipfelprotesten bis Donnerstag gegen 15 Uhr über 1000 Menschen festgenommen worden, so ein RAV-Sprecher gegenüber junge Welt. Davon saßen zu dem Zeitpunkt noch etwa 350 Protestierer in Gefängnissen. Unter dem Motto „für faire Verfahren und freien Zugang zu den Verhafteten“ demonstrierten am Donnerstag Nachmittag Anwältinnen und Anwälte vor der Gefangenensammelstelle Industriestr. in Rostock-Schmarl. Nach Informationen des Legal Teams/Anwaltlicher Notdienst saßen dort zu Zeit etwa 100 Menschen ein.
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