Mittwoch, 13. Juni 2007

Was war das?

Die Gipfelproteste waren bunt und laut und stark. Wogegen sie gerichtet waren, konnte allerdings nicht geklärt werden.

von ivo bozic (veröffentlicht in der jungle world am 13.06.07)

Der Zirkus ist vorbei. Auch die Clowns haben die Manege verlassen. Dank des schönen Wetters konnten die Vorstellungen größtenteils im Freien stattfinden, alle haben sich prächtig unterhalten. Die Veranstalter sind allesamt zufrieden. Klimakönigin Angela Merkel ebenso wie die versammelte Protestierendenschar, das Publikum auf den Rängen, auch jene vor den Fernsehgeräten und die so klugen Köpfe, die hinter der entsprechenden Zeitung stecken.

Aus Sicht der linken Gipfelgegner war das Spektakel ein voller Erfolg. Trotz eines gigantischen Polizeieinsatzes fand man Wege über Felder zum Zaun, die nicht nur gendarmenfrei, sondern auch malerisch waren. Sogar ein paar Journalisten konnten durch effektive Blockaden gezwungen werden, statt mit der örtlichen Bimmelbahn mit Bötchen über die offene See zum schönen Hotel Kempinksi zu gondeln. Der Protest bestimmte die Fernsehbilder eine Woche lang, zornige Schwarze Blöcke, witzige Possenreißer, Greenpeace-Action zu Wasser und in der Luft und allseits respektierte Popbarden rundeten das Bild des Widerstands ab – so als ob einfach alle dabei gewesen wären.

Einzig eine Frage konnte in all der ungewöhnlich langen Zeit der Medienpräsenz nicht geklärt werden: warum? Oder auch: wozu? Wozu der ganze Rambazamba? Worum ging es eigentlich? Nein, das ist keine rhetorische Frage, es ist die zentrale Frage, und es gibt darauf keine Antwort. Sicher, jeder Einzelne, der sich auf den Weg an die Ostsee gemacht hat, wird für sich eine Antwort darauf haben, und da sind gewiss individuell plausible dabei, doch das wäre es denn auch schon. Tatsächlich wurde rund um Heiligendamm für und gegen alles demonstriert, was man sich nur ausmalen kann.

Selbst beim Grundsätzlichsten war man sich nicht einig. Ein Teil demonstrierte gegen, ein anderer Teil für den Gipfel. Man wolle Druck machen auf die G8-Vertreter, dass sie Wort halten, dass auch ja etwas herauskommt beim Gipfel, dass sie nicht nur reden, sondern handeln – solches war allenthalben zu hören. G8-Gipfel-Unterstützungsdemonstranten waren keine kleine Minderheit im Rahmen des Spektakels. Sie prägten mit Bono, Grönemeyer, Claudia Roth, Bild-Zeitung, taz und dem Sponsor AOL weite Teile des Events. Sie wähnten sich, warum auch immer, größtenteils dennoch als G8-Gegner und hielten es offenbar nicht für einen Widerspruch, mit wirklichen Gegnern der G8 zusammen durch Rostock und die Wälder Mecklenburg-Vorpommerns zu streifen.

Andere demonstrierten in der Tat gegen den Gipfel bzw. gegen die G8. Doch nicht eine vernünftige Erklärung dafür wurde von einer Fernsehkamera eingefangen, und das lag ganz sicher nicht nur an der Auswahl der Bilder durch die Medien, auch beim Youtube-Surfen war keine Stimme zu vernehmen, die schlüssig erklären konnte, was man gegen eine relativ wirkungslose Show von acht Staatschefs einzuwenden hat. Wäre es besser gewesen, sie hätten nicht über Klimapolitik und Afrika geredet? Das mochte kaum jemand behaupten. Eher erklärte man: Es sei ja gut, dass sie mehr Geld für Afrika beschlossen hätten, nur müssten sie es endlich auch zahlen. Das stand aber vorher schon in der Bild-Zeitung.

Die beliebteste Erklärung für den Protest lautete, das Gipfeltreffen bzw. die G8 seien nicht demokratisch legitimiert. So argumentierte man von der Interventionistischen Linken über die Linkspartei bis zu den Jusos. Die G8 sei kein »vom Volk« gewähltes Gremium. Gut, aber mit diesem Argument könnte man auch gegen die Uno-Vollversammlungen auf die Straße gehen. Mehr Partizipation, als innerhalb eines Staats eine Regierung zu wählen, ist für die Weltbevölkerung nun mal zurzeit nicht vorgesehen. Das kann man bedauern, jedoch unterscheidet sich die G8 darin nicht von der Uefa.

Selbstverständlich gab es auch politische Inhalte, mit denen Linke angereist waren, um sie zu vertreten, politisch ekel-, aber auch absolut ehrenhafte. Viele davon hatten allerdings rein gar nichts mit dem Gipfeltreffen zu tun. Flüchtlingspolitik, Kapitalismus, Frauenrechte, Studiengebühren, Hartz IV, politische Gefangene (in Deutschland, Israel, der Türkei und den USA natürlich, nicht die in China, Iran, Russland oder Kuba), Gen-Food, der israelische Sicherheitszaun, der Irak-Krieg. Schön, dass mal wieder darüber gesprochen wurde, einen ersichtlichen Grund, das vor dem Tagungshotel in Heiligendamm zu tun, gab es nicht. Vielmehr wurde damit nur die Projektionsfläche G8 noch weiter ausgedehnt, als wenn dort tatsächlich jedes nur erdenkliche Unrecht verhandelt oder gar beschlossen werden würde.

Dominierend und vermutlich der am weitesten reichende Konsens in der Bewegung war der offene oder latente Antiamerikanismus und/oder der Protest gegen Bush. Doch selbst hier gab es auch viele Ausnahmen, die nicht verschwiegen werden sollen, etwa der »Ums Ganze«-Block, der sich klar gegen alle Weltverschwörungstheorien aussprach. Antiimps demonstrierten gegen Israel, im »Ums Ganze«-Block wurden Israel-Flaggen mitgeführt. Die einen lehnten die Globalisierung ab, andere forderten eine gerechte Globalisierung, die Spartakist-Jugend bestritt die Existenz der Globalisierung, es gebe nur »kapitalistischen Imperialismus«. Antideutsche Antifas und DKP demonstrierten für den Kommunismus, viele andere gegen den Freihandel, in der vor Ort verteilten G8-Sonderausgabe der Islamischen Zeitung plädierte man für den Freihandel und die freie Marktwirtschaft – nur bitteschön ohne Zinsen. Außerdem erklärte man dort, wie mit Hilfe der Sharia der Klimawandel zu stoppen sei. Nur die Nazis durften nicht mitdemonstrieren, was aber nicht an ihren Argumenten gegen den Gipfel lag, sondern daran, dass sie eben Nazis sind.

Das alles lief geschmeidig nebeneinander her, ein Jahrmarkt der Interessen, und hätte es den telegenen Riot in Rostock nicht gegeben, wäre am Ende in der öffentlichen Wahrnehmung vermutlich die Aufforderung an die G8 übrig geblieben, doch bitte mehr Geld für die Armen zur Verfügung zu stellen, ganz im Sinne von Bob Geldof, der einen Tag als Gast-Chefredakteur bei Bild fungierte, und Herbert Grönemeyer, der das gleiche für Vanity Fair tat.

Nur der Schwarze Block vermittelte, dass da offenbar noch irgendein, wenn auch nicht näher bestimmter Antagonismus gegenüber dem Staat besteht. Gleichzeitig sorgte er jedoch dafür, dass mit der Fixierung auf die Polizei als gemeinsamen Feind die Antagonismen innerhalb der Bewegung nicht weiter auffielen.

Wenn auf einer Demo für und gegen den Kapitalismus, für und gegen die G8, für und gegen den Staat, für und gegen Frauenrechte, für und gegen Israel usw. demonstriert werden kann und die Demonstranten nicht ein einziges Mal öffentlich gegeneinander Position beziehen, sondern ausschließlich gemeinsam gegen die Polizei und einen temporären Zaun, dann drängt sich die Frage nun einmal auf: Was war das? Was habt Ihr da eigentlich gemacht? Ja, der Widerstand war erfolgreich, jetzt muss nur noch geklärt werden, wogegen er gerichtet war.

Immerhin, für viele junge Leute sind solche Events das auslösende Moment, endlich zuhause auszuziehen und eine sympathische und politisch zweifellos sinnvolle Opposition gegenüber Autoritäten, den Eltern und dem Staat einzunehmen. Und manche mögen auch neue Anregungen für die Berufswahl erhalten haben. Aber bitte bedenken: So viele Zirkusse gibt es gar nicht. Also schminkt euch das lieber ab, liebe Clowns!




Die Wiederkehr des Mobs

Über die militanten Autonomen und unpassende Bemerkungen an einem unpassenden Ort.

Von Klaus Behnken (veröffentlicht in der Jungele World am 13.07.2007)

Franz Müller zieht am Ende der G8-Proteste für Bild Bilanz: „So viel Hass habe ich noch nie erlebt!“ Franz Müller muss es wissen. Er ist Zugführer der Bereitschaftspolizei in Dachau und auch sonst ziemlich ahnungslos. Nicht viel schlauer, aber etwas eloquenter kommt Franz Walter, Politologe in Göttingen, bei Spiegel online daher. Er sieht in der „linksextremistischen Gewalt“ die Wiederkehr des vorindustriellen „Mobs“, sie zeige „ die allmähliche Auflösung etlicher industriegesellschaftlicher Strukturen, Organisationsformen und Bindemittel“: „Wo immer in den vergangenen 20 Jahren in Europa unorganisierte und unvorgesehne Krawalle ausbrachen, dort wird man verlässlich auf solche gesellschaftlichen Leerstellen, auf entbundene Räume, so dann auf die Rückkehr des „Mobs“ treffen. „Zwar glaubt nur der Politologe, marginalisierte Gruppen und linksextremistische Gewalt gäbe es erst seit 20 Jahren, aber jede Zeit hat sich ihren eigenen Reim auf sie gemacht.
Natürlich erschrecken die Bilder von Steinewerfern und brennenden Autos, weil sie für einen Moment Gewaltverhältnisse durchbrechen und sichtbar machen, die sonst anonym sind, im Elternhaus, in der Schule, im Betrieb, im Knast, auf Behörden, in Asylbewerberlagern und anderswo. Selbst die Medialisierung der G8-Proteste ist Gewalt gewesen, mit dem Ziel, die Demonstranten einzuschüchtern oder auch zu kriminalisieren. Dazu schien tagelang fast jedes Mittel recht, die polizeiliche Verletzten-Statistik, die am Ende auf ein halbes Prozent der anfangs genannten Zahlen heruntergerechnet werden musste, die Manipulation von Bildern, die Erfindung von Waffen, die Fälschung von Redebeiträgen auf den Kundgebungen und eine einseitige Berichterstattung, die allein die Demonstranten für die Auseinandersetzungen verantwortlich machte. Gewalt ist auch ganz unmittelbar spürbar geworden unter den Tonfas der Polizei, in den Schwaden von Reizgas und in den Metallkäfigen der Gefangenensammelstellen.
Der Diskurs über die Praxis oppositioneller Gewalt ist immer hilflos gewesen, weil er versucht hat, sie in einen Katechismus zu fassen. Gewalt gegen Sachen, ja, Gewalt gegen Personen, nein. Oder auch bei Herbert Marcuse, der in seiner „Nachschrift 1968“ zur „Repressiven Toleranz“ noch das Recht von Minderheiten auf intolerante und militante Unduldsamkeit gefordert hatte „gegenüber Verhaltensregeln, die Zerstörung und Unterdrückung tolerieren“, 1977 jedoch, unter dem Eindruck der RAF-Aktionen, zwischen defensiver und offensiver Gewalt differenzieren wollte. Jeder, der einmal auf einer Demonstration gewesen ist, weiß, dass eine solch feinsinnige Unterscheidung nur für den Sonntag taugt.
Vielleicht vergisst der eine oder andere autonome Militante, wie wirksam symbolischer Protest sein kann. Denn dieser fordert mehr als sportlichen Einsatz, gelegentlich sogar einen Schuss Theorie. Das kann man und muss man kritisieren. Diese Kritik muss aber von links kommen.
Ein Kollege aus der Reaktion dieser Zeitung hat während der G8-Aktionen an einem ziemlich unpasssenden Ort, wie manche finden, ein „linkes Plädoyer“ veröffentlicht, „sich endlich der Wirklichkeit zu stellen“, und in einem nachgeschobenen Interview mit Radio Corax Verständnis geäußert für die Repression durch die Polizei. 40 Jahre, auf fast den Tag genau, nachdem in Berlin in den Hinterkopf des Studenten Benno Ohnesorg gab, lesen wir in einer von vorauseilendem Gehorsam diktierten Erklärung, für Kritik am Staat und an seinen Maßnahmen gebe es keinen Grund, vielmehr rufe die radikale Linke mit ihrer Randale erst „harte Maßnahmen des Staates hervor, um diese dann wieder zu beklagen“: „Sie erfüllt ihre Prophezeihung selbst.“ Außer diesem sich selbst bestätigenden Satz hat der Autor kein einziges Argument, stattdessen zitiert er Äußerungen der Linkspartei, de Sozialistischen Jugend, der Roten Hilfe und einen Open Posting-Beitrag bei Indymedia, um deren „blühenden Phantasie“ zu beweisen. Dass dabei auch eine Live-Sendung aus Rostock auf Phönix durchfällt, weil dessen Reporter an Ort und Stelle war und anderes gesehen hat, als der Kollege wissen wollte, ist dann nur konsequent.
Alles andere, was er brauchte, hat er sich aus den Agenturnachrichten geholt, deren inzwischen korrigierte Falschmeldungen eingeschlossen. Wir finden in seinem Text keinen Satz, der den Staat und seine repressiven Maßnahmen kritisierte, so als habe es Wochen vor Rostock nicht massive Razzien gegeben, die die Szene, und dazu gehörten auch Buchhandlungen, Verlage, Archive, terrorisieren sollten. Wir finden kein Wort zu den teilweise brutalen Interventionen gegen die so genannten friedlichen Demonstranten vor dem Zaun in Heiligendamm, keinen Einwand gegen den Einsatz von Bundeswehr-Logistik und -Personal bei den G8-Protesten, nichts zu den ständigen Versuchen, das Grundgesetz von oben zu demontieren. Angesichts dieser Sprachlosigkeit ist der Schluss seines Gastkommentators ziemlich unglücklich: „Ein Märtyrer wie Carlo Giuliani in Genua würde das auf dem Kopf stehend Weltbild mancher Linker nur noch einmal bestätigen.“ Dieser vielleicht unbedachte Satz ist nichts anderes als die vornehmere Form der rhetorischen Frage von Bild, „Wollt ihr Tote, ihr Chaoten?“
In seinem Radio-Interview wird der Kollege noch deutlicher. Auf die fast flehentliche Frage des Interviewers, ob denn nicht die Maßnahmen der Polizei doch angreifbar seien, antwortet er: „Man sollte das durchaus anprangern, aber irgendwie auch die Kirche im Dorf lassen“, durchaus anprangern, die Repression aber sonst Repression sein lassen, heißt das wohl. „Ich meine, man muss sich da einfach fragen, was erwartet man denn, wie der Staat agieren sollte. Soll er diesen Zaun öffnen, damit Tausende dahin laufen und dann womöglich die Hotels stürmen? Der Staat kann das nicht machen und wird das auch nicht machen.
Man kann das zwar versuchen, das ist legitim, bloß, dass der Staat das nicht dulden wird, und das würde kein Staat auf der Welt dulden, ... das muss man schon irgendwie auch verstehen.“ Legitim, ja schon, aber irgendwie auch wieder nicht, denn kein Staat kann das dulden, und das muss man natürlich verstehen. Müssen wir das als Linke wirklich verstehen? Fehlt uns vielleicht das rechte Einfühlungsvermögen in die ordnungspolitischen Notwendigkeiten des kapitalistischen Staates?
Den militanten Autonomen jedenfalls fehlt diese Sensibilität, und das ist auch gut so. Bei allen Einwänden hat der Kollege in einem Recht, die Autonomen brauchen nicht erst die aktive Provokation der Polizei um loszuschlagen. Es ist fast unerheblich, ob es Agents provocateurs, gegeben hat oder ein paar Nazis, die sich unter die Demonstranten gemischt haben. Die Polizei als Stellvertretern des Staates ist bereits die Provokation. Und genauso wenig braucht die Staatsmacht die Autonomen, um Gewalt gegen Demonstranten zu üben, denn deren Kritik, wenn sie denn radikal ist, ist bereits die Negation des Staates. Nicht nur, dass die Autonomen die einzigen auf dem G8-Festival waren, die Kapitalismuskritik mit der Kritik des Antisemtismus verbanden, sie haben für ein paar Tage verhindert, dass die Proteste zu einer beliebigen zivilisatorischen Übung verkamen und Heiner Geißlers in der FAZ geäußerten Hoffnung, die Demonstrationen könnten der Kanzelerin nützen, enttäuscht wurden.
Und dafür müssen wir dem schwarzen Mob dankbar sein.

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