Freitag, 20. Juni 2008

Katakombensozialismus - Der SDS an den westdeutschen Hochschulen vor „68“

Bericht der Veranstaltung


Auf Einladung der Bochumer Hochschulgruppe des globalisierungskritischen Netzwerks Attac referierte der Düsseldorfer Historiker Torsten Koska in den Räumlichkeiten der evangelischen StudentInnengemeinde Bochum über einen bislang in der Befassung mit dem 40. Jahrestag der „Studentenrevolte 1968“ wenig beachteten Aspekt: Die völlige Marginalisierung linker Positionen an westdeutschen Hochschulen und in der Gesamtgesellschaft bis Mitte der 60er Jahre. Entsprechend legte er den Schwerpunkt weniger auf die vom SDS vertretenen Positionen als vielmehr auf sein Selbstverständnis und die Aktionsformen, die es dem SDS ermöglichten, Kern einer relevanten Bewegung zu werden.
Die Veranstaltung wurde unterstützt von der Rosa Luxemburg Stiftung NRW.

Einleitend gab Torsten Koska, selbst langjähriger Aktivist im AStA der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität, einen Einblick in die Entstehung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS).


Der Bruch mit der SPD

Die SPD schuf sich 1946 durch Beschluss des Parteivorstands als erste Partei einen eigenen StudentInnenverband. Der neugegründete SDS war zwar „breit angelegt“ und stand auch StudentInnen, die sich links von der SPD verorteten, offen, doch verstanden sich die meisten Mitglieder als SozialdemokratInnen. Bereits 1947 erklärte der SDS die Mitgliedschaft in seinen Reihen mit der in der Kommunistischen Partei (KPD) für unvereinbar. Im Jahre 1952 erteilten programmatische Verbandsbeschlüsse marxistischen Begrifflichkeiten eine Absage. Vor dem Hintergrund der Entstehung neuer marxistischer Strömungen („ Neue Linke“) in Frankreich und Großbritannien nahmen jedoch auch die Spannungen zwischen dem SDS und seiner Mutterpartei zu. Die SPD begann, parallel zum SDS einen weiteren StudentInnenverband, den Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB) aufzubauen und nahm schließlich vereinzelte Treffen des SDS mit VertreterInnen der Freien Deutschen Jugend (FDJ) zum Anlass, um die Mitgliedschaft im SDS aufgrund angeblicher kommunistischer Unterwanderung für nicht Vereinbar mit der Mitgliedschaft in der SPD zu erklären. Auch die Mitglieder des SDS-Fördervereins Sozialistische Fördergesellschaft waren von dem Beschluss betroffen. Der Marburger Politologe Wolfgang Abendroth war wohl der prominenteste der aus der SPD ausgeschlossenen Mitgliedern der Fördergesellschaft.


Bedingungen des Aufbruchs

Anfang der 60er Jahre schien das politische Gefüge der BRD für die Ewigkeit alternativlos: Seit die SPD mit ihrem Godesberger Programm die „soziale Marktwirtschaft“ als Ziel angenommen hatte und die KPD verboten worden war, schien klar, dass die Kombination aus Nationalismus und Westorientierung die 60er Jahre bestimmen würde. Offen schien allein die Frage, wie die NS-Vergangenheit in diese Kombination eingefügt werden könnte; durch „Aufarbeitung“ oder durch einen „Schlussstrich“. Des weiteren bestand offensichtlich Handlungsbedarf im Bereich des Bildungswesens und der Hochschulen. Die entgegen alliierter Anregungen und ungeachtet ihrer Rolle im NS nach wilhelminischem Modell restaurierten Hochschulstrukturen scheiterten gerade an den Aufgaben Reform und Bildungsexpansion. In den StudentInnenschaften dominierten nach wie vor traditionelle Studentenverbindungen.


Strategien des SDS

Die Verstoßung von Seiten der Mutterpartei erwies sich für den SDS als Glück, er ermöglichte die Strategien, welche ihn im Verlauf der 60er zum Kern einer Bewegung machten.
Zum einen ermöglichte er eine aktive Bündnispolitik. Mit den Studierendenverbänden der FDP (Liberale Studenten Deutschlands, LSD) und der Humanistischen Union und selbst dem eigenen Nachfolger als SPD-StudentInnenverband SHB wurde vertraglich vereinbart, gemeinsame Materialien herauszugeben und gemeinsam zu StudentInnenschaftswahlen anzutreten. Im Dezember 1964 erreichte ein solches Bündnis erstmals eine Mehrheit bei den StudentInnenschaftswahlen an der Freien Universität Berlin. Die entfallenen finanziellen Zuwendungen und Anbindung an die traditionelle ArbeiterInnenbewegung ließen sich durch Bündnisse mit DGB-Gewerkschaften, allen voran die Industriegewerkschaften Metall und Chemie kompensieren. Insbesondere Aktive in den unteren Stufen der Gewerkschaftshierarchie („an der Basis“, T. Koska) hatten Interesse an solchen Bündnissen. Der gegenseitige Nutzen ergab sich dabei, vereinfacht gesagt, aus dem Tausch Wissen gegen Material bzw. Ressourcen. An der Spitze der Gewerkschaftshierarchien arbeiteten der SDS und seine verbündeten StudentInnenverbände gemeinsam mit Professoren (Professorinnen?) gegen 'Aufrüstung und Notstandsgesetze.


Erfolgreiche Interventionen

Um Wissen gegen Support eintauschen zu können, musste natürlich erst einmal Wissen erworben werden. Der SDS verstand sich selbst als Bildungsbewegung, der keine Praxis ohne Nachdenken zulassen wollte. In der Praxis bedeutete dies wenig spektakulär, in Seminaren und Arbeitskreisen sowie in der zweimonatlich erscheinenden Verbandszeitschrift Neue Kritik zu lesen, zu schreiben und zu diskutieren. Diese Debatten führten nie zu einem kohärenten Programm, erwiesen sich aber – dessen ungeachtet oder gerade deswegen? - als fruchtbar. Mindestens zwei mal gelang es dem SDS, erfolgreich in das öffentliche Gespräch einzugreifen:
Anfang der sechziger Jahre, von 1959-1962 informierte eine von SDS auf Grundlage eigener Archivrecherchen in Berlin (Hauptstadt der DDR) erstellte Wanderausstellung über „Ungesühnte NS-Justiz“. Nicht nur die über Jahre andauernde Nachfrage belegt dabei das öffentliche Interesse an der Ausstellung sondern auch der Umstand, dass der GBA Kontakt zu den AusstellungsmacherInnen aufnahm.
Mitte der 60er Jahre gelang es dem SDS, mit der Broschüre „Hochschule in der Demokratie“ ein Konzept für die Reform des Hochschulwesens vorzulegen, dass in mehrfacher Hinsicht (Studienfinanzierung, Hochschulstruktur) von den regierenden Parteien aufgegriffen wurde


Schwachpunkte

In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre nahm die verbandsinterne Kritik an den beschriebenen Strategien zu. Die ständig stärker werdende antiautoritäre SDS-Strömung sah in der Bündnispolitik vor allem eine Einschränkung von Spielräumen, zumal die Bündnisse in der Regel von den jeweiligen Verbandsspitzen vereinbart wurden. Ab 1976 setzte diese Strömung sich durch, in der Folge wurden Aktionen wichtiger als Reflexionen. Ungeachtet des daraus zunehmenden Medieninteresses und anhaltender Wahlerfolge in den StudentInnenschaften zerfiel der SDS.


Was lernt uns das?

In der Anschließenden Diskussion gelangten die TeilnehmerInnen zu der Auffassung, dass gerade der Bruch mit der Mutterpartei dem SDS die Spielräume in Bezug auf Bündnispolitik und Meinungsbildung eröffneten, welche die späteren Erfolge des Verbandes ermöglichten.

Als Lücke wurde von den TeilnehmerInnen die bislang fehlende Befassung mit den Verbündeten des SDS erkannt. Über die Humanistische Union an den westdeutschen Hochschulen oder die Prozesse in der - immerhin FDP-nahen - StudentInnenorganisation LSD sowie in den Gewerkschaften, welche das Bündnis mit dem SDS ermöglichten, war ihnen zu wenig bekannt. Susanne Schäfer von der Bochumer attac-Campusgruppe und Vertreterin des Attac-Netzwerks im Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) wies darauf hin, dass gerade die Hochschulgruppen des Attac-Netzwerks geeignet seien, sich die Stärken des historischen SDS zu eigen zu machen: „Attac-Campusgruppen sind bündnisfähig und parteiunabhängig. Und je mehr studentische Protestkomittees und Boykottinitiativen das Protestieren gegen Studiengebühren übernehmen kann das Attac-Netzwerk auch an den Hochschulen seinem Anspruch gerecht werden, auch Bildungsbewegung zu sein.“


Vergleich SDS – Die Linke.SDS

Ergänzend berichtete ein Teilnehmer von den Eindrücken, die er auf einem Kongress des neugegründeten, der Partei „Die Linke“ nahestehenden StudentInnenverbandes „Die Linke.SDS“ gesammelt hatte. Auch dem „neuen“ SDS sei Bündnispolitik sehr wichtig, was allerdings auf dem Kongress in erster Linie dadurch zum Ausdruck gekommen sei, dass verbündete Organisationen auf dem Kongress eigene Veranstaltungen für eigene Leute durchgeführt hätten. Auch Initiativen des neuen SDS, die sich unter die Stichworte Aufklärung/Selbstaufklärung zusammenfassen ließen, seien auf dem Kongress zu beobachten gewesen: Der neue SDS habe beschlossen, mit Hilfe eigens auszubildender TutorInnen zweisemestrige Kurse zur Lektüre des „Kapital“ von Karl Marx durchzuführen. Dies stieß auf skeptische Nachfragen. Ob es da nicht neuere Texte gebe? Torsten Koska steuerte zu der Diskussion unter anderem den Hinweis bei, dass es dem historischen SDS nie gelungen ist, zentral geplante Schulungsprogramme zu erstellen. Entsprechende Anläufe endeten stets ohne Einigung im Streit. Für Erheiterung sorgte die Schablonenhaftigkeit, mit der Teile des neuen SDS dem untergegangenen Namenspatron nacheifern wollten: Auch der neue SDS müsse rasch eine Förderungsgesellschaft gründen, um für den Fall eines Ausschluss aus der Mutterpartei gewappnet zu sein, wurde in Redebeiträgen gefordert.


Abschließend gilt der Dank der VeranstalterInnen neben Torsten Koska der Bochumer ESG für die diskussionsfördernden Räumlichkeiten und der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW für die finanzielle, organisatorische und inhaltliche Unterstützung. „Die NRW-RLS hat sich als Forum für Austausch und Kooperation von parteinahen und ausserparlamentarischen AktivistInnen bewährt und gibt zu großen Hoffnungen Anlaß“, so Susanne Schäfer von attac campus bochum.

Keine Kommentare: