Donnerstag, 5. Juni 2008

Prozessbeobachtungsgruppe Rostock: Die Beobachtungen aus den G8

Verfahren bestätigen: Repression gegen G8 GegnerInnen ist willkürlich.

Pressemitteilung von gipfelsoli am 5.6.08

Nur knapp 3 % der Ermittlungsverfahren hielten juristischer Überprüfung stand.

Ein Jahr nach dem G8 Gipfel in Heiligendamm geht die Prozessbeobachtungsgruppe Rostock mit einer ersten vorläufigen Zusammenfassung der Repression gegen G8-Gegner an die Öffentlichkeit. Dabei bleibt festzustellen. „Es war mit gut 1000 Ingewahrsamnahmen, nahezu ebensovielen Platzverweisen, ca. 1600 Ermittlungsverfahren gegen zumeist nachweislich unschuldige G8-Gegner ein Gipfel der Superlative, was Repression, Polizei und Justizwillkür angeht“, so Dieter Rahmann von der Prozessbeobachtungsgruppe. Dass nur deutlich unter 3 % der eingeleiteten Ermittlungsverfahren einer juristischen Überprüfung vor Gericht standhielten und zu einer Verurteilung führten, belegt einmal mehr die Willkür des polizeilichen Ermittlungsapparates. Dass unter diesen 3 % allerdings auch solche Verurteilungen zu finden sind, wie Bewaffnung mit Kleinstschutzbrillen, usw. zeugt davon, dass es unter den Rostocker RichterInnen genügende gibt, die die Vorgaben der Staatsanwaltschaft vorbehaltlos übernehmen.

Dass aber ganz viele Verfahren auch nicht zu Verurteilungen führten, erklärt sich die Rostocker Antirepressionsgruppe mit dem öffentlichen Interesse an vielen Prozessen. Die z. T. sehr dilettantischen Ermittlungen der Polizei( protokollierende Beamte wurden als Zeugen aufgewertet, Beweismittel sind mehrfach verschwunden, plastikumwickelte Eddings wurden als Brandsätze in den Ermittlungsakten aufgeführt.) ließen den Richtern aufgrund öffentlichen Drucks nur noch den galanten Ausweg, das Verfahren einzustellen. „Wohl selten hat es ein politisches Großereignis gegeben, bei dem dermaßen viele Ermittlungsverfahren eingestellt wurden, was natürlich trotzdem bei den Betroffenen Kosten und Nerv bedeutet.“

Im Schatten der Strafprozesse stehen die unzähligen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht um Platzverweise und Freiheitsentziehungen. Bislang sind fast alle Platzverweise, die von den Betroffenen angefochten wurden, von den Verwaltungsgerichten für rechtswidrig erklärt worden. Bei den Freiheitsentziehungen sieht es ähnlich aus. Nur die sehr geringe Anzahl von Freiheitsentziehungen, bei denen der Vorwurf des Landfriedensbruchs im Raum stand, wurden vom Gericht bestätigt. Nahezu alle anderen haben die Gerichte für illegal erklärt. Darunter sind zum Beispiel solche Fälle, dass schwarz gekleidete Personen, die im Raum Rostock mit einer Sonnen- oder Schwimmbrille oder einem Tuch, Handschuhen oder einer Regenhose etc. angetroffen wurden, für mehrere Tage in Polizeikäfigen eingesperrt wurden.

Erst jetzt – 1 Jahr nach dieser Polizeirepression – werden die Verfehlungen der Polizei Thema vor den Gerichten. Generell lässt sich feststellen, dass mehrere Anzeigen gegen Polizeibeamte von der Generalstaatsanwaltschaft ohne gewissenhafte Prüfung eingestellt wurden. Pauschale Begründung ist ein übergesetzlicher Notstand, der offensichtlich ein polizeiliches Handeln außerhalb gesetzlicher Normen erlaubt. Die Staatsanwaltschaft findet z. B. nichts Kritikwürdiges an der Festnahmepraxis von Polizisten einer Berliner Einsatzhundertschaft, den Festzunehmenden zu „beruhigen“, indem man ihm einen Faustschlag ins Gesicht verpaßt. Von den knapp hundert Anzeigen gegen Polizisten sind die meisten inzwischen mit ähnlich hanebüchenen Begründungen eingestellt worden. Bei anderen, wie z.B. bei der Wasserwerferbesatzung, die einem Demonstranten ein Auge verletzte, wird das Verfahren verschleppt.

Es werden neben der Anzeige gegen Polizisten einige sog. Fortsetzungsfeststellungsverfahren geführt, bei denen nicht ein eventuell strafbares Handeln einzelner Polizeibeamter überprüft, sondern die Rechtswidrigkeit des Polizeieinsatzes festgestellt werden soll. Meist geht es dabei um Freiheitsberaubung, die Unterbringung in Käfigen, sexuelle Demütigungen im Gewahrsam oder um Verlängerung des Gefängnisaufenthaltes, obwohl Richter die Freilassung verfügten usw. Diese Verfahren werden allerdings nach Auffassung der Prozessbeobachtunggruppe Rostock nicht ernsthaft angegangen. Zum Teil wird den Anwälten erst nach Monaten Akteneinsicht gewährt.

Die Repression vor, während und nach dem G8, die zugrunde liegenden Polizeistrategien, deren Weiterentwicklung und die Anzahl und Bewertung der Gerichtsverfahren werden Thema während einer Veranstaltung der Roten Hilfe Rostock am 7 Juni um 20 Uhr in der Petri Kirche Rostock sein, zu der Sie hiermit auch eingeladen sind.


ANHANG (Statistisches Basismaterial im Einzelnen)

Strafverfahren gegen G8 GegnerInnen:

Von den ca.1600 Ermittlungsverfahren waren Ende Mai gut 1496 bei der Staatsanwaltschaft Rostock angesiedelt, 48 davon befinden sich noch im Ermittlungsstadium. Von den mit Stand vom 15.11. eingestellten 1086 Verfahren sind 773 Verfahren eingestellt worden, weil Straftatbestände schlicht ausgedacht wurden, ohne Beweise dafür zu haben, lediglich 158 wegen geringer Schuld oder zu aufwändigen Ermittlungen, nur 21 Einstellungen wurden gegen Auflagen eingestellt. 65 Verfahren wurden von anderen Staatsanwaltschaften bearbeitet. Bis jetzt hatte es lt. Staatsanwaltschaft 176 gerichtshängige Verfahren gegeben, die in 84 Fällen zu einem Urteil führten. Daraus ergibt sich daraus eine Urteilsrate von ca 5 %.

Nach unseren eigenen Recherchen sind uns 61 Verfahren zum G8 vor den Amtsgerichten bekannt geworden, davon sind 23 durch Urteile und 16 durch Beschlüsse abgeschlossen worden, weitere 6 uns bekannte Verfahren laufen noch vor den Amtsgerichten, 3 Verfahren befinden sich in der Berufungsinstanz. Von 13 weiteren ehemals gerichtshängigen Verfahren wissen wir nichts. Von den 23 Urteilen waren 9 Haftstrafen zumeist auf Bewährung, ausnahmslos wegen schweren Landfriedensbruch. Es gab 4 Geldstrafen, eine wegen Beleidigung, eine wegen Verstosses gegen das Schutzwaffenverbot auf Demonstrationen, eine wegen Körperverletzung und eine wegen Landfriedensbruchs. Allerdings gab es auch 10 Freisprüche, und zwar vom Vorwurf der Vermummung(2), dem Schutzwaffenverbot(Beissschiene)(1), der Körperverletzung(1), des Hausfriedensbruchs(5) und der Nötigung(1)(in dessen Folgen 100 weitere Verfahren eingestellt werden mußten). Von den 32 Verfahrenseinstellungen fanden 16 vor Gericht und 16 im vorprozessualen gerichtlichen Schriftverkehr statt. Hauptsächlich wurden Verfahren eingestellt wegen Vermummung (8), Schtzwaffenverbot(6) und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr (8). Obwohl wir uns um Auskunft bei Gerichten bemüht haben, wissen wir von vielen Prozessen nichts. Insbesondere sind dies „kleine Verfahren“, wie z. B. Bußgeldverfahren über 50 Euro, gegen den vermutlich noch nicht mal Einspruch eingelegt wird, weil die Prozesskosten viel höher wären.

Diese tauchen in unserer Statistik daher nur in sehr geringem Umfang auf. Trotzdem können wir aus den uns bekannten Gerichtsverfahren durchaus Plausibilitäts-rückschlüsse ableiten. Wenn man z. B. die Quote von 13 Verurteilungen bezogen auf 23 Urteile zugrunde legt, käme man bei der gleichen Quote bei 84 Verfahren auf ca. 47 Verurteilungen. Bei einer Gesamtzahl von 1600 bei der Staatsanwaltschaft anhängigen Verfahren wäre dieses eine Verurteilungsquote von unter 3 . Unter diesen 3 befinden sich aber nicht nur die sog „harten Gewalttäter“ sondern z. B. auch Verurteilungen wegen Mitsichführens von Sonnenbrillen, Handschuhen und Halstüchern, fernab von jeder Demonstration. Wenn die Staatsanwaltschaft lediglich von 84 Verurteilungen spricht, und nicht davon, welche Straftat dem zugrunde liegt, entwirft dieses ein sehr ungenaues Bild von der Anzahl der angeblich „harten Straftäter“. Immerhin gibt die sehr geringe Zahl tatsächlicher Verurteilungen einen deutlichen Hinweis darauf, daß die meisten Verfahren nicht geführt wurden, um Menschen zu verurteilen, sondern um einzuschüchtern und polizeiliche Masseningewahrsamnahmen zu rechtfertigen.


Freiheitsentziehungsverfahren

Von den gut 1000 Freiheitsentziehungen waren laut Auskunft des Amtsgerichtes Rostock in der Protestwoche 586 Gegenstand eines gerichtlichen Überprüfungsverfahrens. Lediglich 158 von der Polizei gestellte Anträge auf Gewahrsamsverlängerung wurden angenommen. Die übrigen Anträge wurden entweder abgelehnt(163) oder aber von der Polizei binnen kurzem wieder zurückgenommen(273), als sich abzeichnete, daß diese vor Gericht nicht standhalten würden. Gegen 102 der genehmigten Gewahrsamsverlängerungen wurden Beschwerden beim Landgericht eingelegt, 45 mal wurden die Gefangenen aufgrund eines folgenden Gerichtsbeschlusses entlassen, lediglich 15 mal wurde der Gewahrsam bestätigt. Von den 1000 Ingewahrsamnahmen sind es also tatsächlich gerade mal 7 %, die überhaupt eine überprüfte Rechtsgrundlage hatten.

Da viele Gefangene schon vor der Entscheidung über Entlassungsanträge freigelassen wurden, sind diese Anträge inzwischen zu Fortsetzungsfeststellungsklagen umgewandelt worden. Nach unserer Recherche sind inzwischen ein gutes Duzend solcher Fortsetzungsfeststellungsklagen anhängig, zumeist aus dem Fall der polizeilichem Massenfestnahme von 191 Personen am 7.6 im Wald von Wichmannsdorf.


Platzverweise

Von 11 uns bekannten Verfahren bezüglich der Platzverweise wurde bei 4 Verfahren die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hergestellt. 2 Verfahren befinden sich in der Klage gegen die Polizei, bei den restlichen 5 Verfahren hat die Polizei die Rechtswidrigkeit der Platzverweise anerkannt, damit bleibt die Polizei auch auf den Verfahrenskosten dafür hängen.

Gerade bei Platzverweisen und Freiheitsentziehungen kann man auf ganzer Linie von einem totalen Mißbrauch dieser Instrumente durch die Polizei sprechen. Lediglich in ganz wenigen Fällen, bei denen Personen wegen schwerer Vorwürfen, wie z. B. Landfriedensbruch in Haft genommen wurden, sind die Ingewahrsamnahmen durch Gerichtsbeschluß bestätigt worden.

Eigene Strafanzeigen gegen einzelne Polizeibeamte Die meisten der ca. 100 gestellten Anzeigen sind bisher eingestellt worden.

Es laufen noch:

1 Anzeige wegen Körper(Augen)verletzung durch eine Wasserwerfereinheit
2 Anzeigen wegen Freiheitsberaubung, weil Gefangene trotz richterlicher Freilassungsanordnung länger eingesperrt blieben
1 Anzeige wegen Körperverletzung einer Journalistin
1 Anzeige wegen zu langer Haft, da der Verhaftete vor Gericht freigesprochen wurde
7 Anzeigen wegen Unterschlagung (von sichergestellten Sachen)
1 Anzeige wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung im Zuge einer Personenkontrolle in Vorderbollhagen
1 Strafanzeige wegen Mißhandlung

Fortsetzungsfeststellungsklagen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit von Polizeieinsätzen Fortsetzungsfeststellungsklagen richten sich gegen
* Beschlagnahme von Geld (Polizisten eignen sich 50 Euro von einem Demonstranten an)
* von der Einbehaltung von Funkgeräten des Campschutzes Rostock
* 3 mal von sexueller Demütigung durch die Polizei im Gewahrsam
* Unterbringung der Gefangenen in Käfigen
* mehr als 9 mal Freiheitsberaubung im Zuge der Massenfestnahme im Wichmannsdorfer Wald.

Source: email

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