Aufruf zur antifaschistischen Demonstration in Gedenken an Thomas “Schmuddel” Schulz am 28.03.2009 in Dortmund!
Am 28. März 2009 jährt sich zum vierten Mal jener Tag, an dem der Punk Thomas Schulz, genannt „Schmuddel“, von dem damals noch 17 jährigen Neonazi Sven Kahlin von der Skinhead Front Dortmund-Dorstfeld in einer belebten U-Bahn-Station brutal niedergestochen wurde und kurz darauf verstarb. Bei der diesjährigen Gedenkdemo geht es uns einerseits darum, an das Opfer des Nazimordes zu erinnern und diese traurige Realität gegen diejenigen zu verteidigen, die diese Tat zu entpolitisieren versuchten und es immer noch versuchen. Zum Anderen müssen die immer stärker werdende Neonaziszene und ihre vermehrten brutalen Angriffe auf Linke, MigrantInnen und alternative Kulturprojekte thematisiert werden, indem wir ihnen und der Öffentlichkeit mit einer großen und entschlossenen Demonstration verdeutlichen, dass wir den Mord an Thomas Schulz nicht vergessen haben und verstärkt gegen die lokale Neonaziszene vorgehen werden.
Der nicht wegen Mordes, sondern nur wegen Totschlags verurteilte Sven Kahlin ließ bei einem Neonaziaufmarsch im letzten Jahr in Herford von seinen Kameraden eine Grußbotschaft verlesen und steht auch sonst weiterhin in regem Kontakt mit den Dortmunder Neonazis. Ende 2008 solidarisierten sich diese in Form von Grußkarten mit weiteren verurteilten neonazistischen Schlägern und Mördern, wie dem Berliner Polizistenmörder Kay Diesner und Robin Schliemann, der im letzten Jahr einen Kunden in einem Dortmunder Supermarkt mit vier Schüssen schwer verletzte.
Die Verlautbarungen der Dortmunder Kameradschaft nach dem Mord zeugten von einem enormen Selbstbewusstsein und einer noch größeren Gewaltbereitschaft. „Die Machtfrage wurde gestellt und wurde für uns befriedigend beantwortet“, hieß es im Internet. Und drohend: „[…] in einigen Monaten stehen die Dortmunder Punks wieder ohne bundesweite Unterstützung dar. Nicht vergessen: Wir haben und werden weiterhin den Ton angeben […]“. Anfang diesen Jahres starteten die Dortmunder Neonazis eine Outing-Kampagne gegen vermeintliche und tatsächliche Linke. Diese wird sich, so bekunden die Neonazis, von der Antifa bis hin zu Kirchenvertretern gegen all jene richten, die sich in linken oder zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen gegen Neonazis engagieren. Angesichts der Aufkleber und Plakate, die kurz nach dem Mord verklebt wurden, auf denen es unmissverständlich und drohend heißt: „Wer der Bewegung im Weg steht, muss mit den Konsequenzen leben!“ und „Antifaschismus ist ein Ritt auf Messersschneide“, müssen die Gefahren solcher Kampagnen seitens der Neonazis ernst genommen werden. Die hiesigen Neonazis erlangen nicht nur durch ihre bundesweiten Demonstrationen zum Antikriegstag große Bedeutung. Auch im Alltag zeigen sie mehr Präsenz und fühlen sich sicher, wenn sie unter der Woche ihre Flugblätter verteilen und am Wochenende in der im Brückstraßenviertel gelegenen Coronita Bar ihre Biere trinken. So prägen Anschläge mit Buttersäure und Farbbomben auf das soziokulturelle Wohnprojekt HippiH-Haus, Angriffe mit Schlagstöcken und Pfefferspray auf die alternative Kneipe Hirsch Q und deren BesucherInnen und die mit Steinen und Stahlzwillen attackierten Wahlkreisbüros von den Parteien Die Linke und Bündnis90/dieGrünen sowie Angriffe auf das Literaturcafé Taranta Babu das Szenario der Nazibedrohung in Dortmund.
Doch all das bleibt nicht unkommentiert. Mehrere Neonaziaufmärsche in Dortmund mussten Dank des entschlossenen antifaschistischen Widerstands erheblich verkürzt, umgeleitet oder sogar frühzeitig abgebrochen werden. Auch Thorsten Kellerhoff, der hier mit seinem rechten Fashion-Laden Goaliat Fuß zu fassen versuchte, um Thor Steinar-Kleidung an rechte Dortmunder Hools zu verkaufen, musste schnell feststellen, dass Glas nicht bruchsicher ist und auch seine alltägliche Nachtwache ihn nicht vor antifaschistischem Besuch schützte. So konnte er dem anhaltenden Protest nicht länger standhalten und schloss sein Geschäft. Ein in diesem Kontext an den BVB gerichteter offener Brief antifaschistischer Gruppen führte sogar dazu, dass der Verein das Tragen von Thor Steinar-Kleidung innerhalb des Westfalenstadions – auch für die MitarbeiterInnen – verbot. Es zeigt sich also, dass ein konsequenter Antifaschismus, der nicht auf die Inszenierung eines besseren Deutschlands abzielt, Neonazis in ihrer öffentlichen Selbstdarstellung erheblich zu behindern vermag und ihre Strukturen nachhaltig schwächen kann.
Allerdings muss die Frage gestellt werden, inwieweit das skandalöse Verhalten von Polizei und Stadtverwaltung dazu beigetragen hat, dass sich eine derart aktive und gut organisierte Neonaziszene in der Stadt etablieren konnte. Es gibt zwar nun auch eine eng mit dem Staatsschutz kooperierende Koordinationsstelle für Vielfalt, Demokratie und Toleranz, die bisher jedoch öffentlich kaum wahrnehmbar ist. Anstatt den Kontakt zu antifaschistischen Initiativen zu suchen, gibt man die Hälfte des Etats für eine wissenschaftliche Studie aus, an der antifaschistischen Basis spürt man vom städtischen Engagement bislang jedoch wenig. Der Polizeipräsident Hans Schulze ist sich keiner Schuld bewusst und verweist brav auf die verfassungsrechtlich geschützte „Meinungsfreiheit“. Am 6. September ließ er ganze Stadtteile mit 18 Hundertschaften, Gittern und Wasserwerfern abriegeln, sah die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch Mahnwachen an Stolpersteinen und dem jüdischen Friedhof gefährdet und befürchtete hauptsächlich „Belästigungen für unbeteiligte Dritte“ und feierte es schließlich als „Erfolg“, dass mehr als 1.100 Neonazis ungehindert durch Dortmund marschieren konnten. Doch auch viele Dortmunder BürgerInnen scheinen sich eher an den mit Großaufmärschen und Gegenprotesten einhergehenden Verkehrsbehinderungen zu stören als an der Tatsache, dass Jahr für Jahr hunderte NationalsozialistInnen durch die Stadt marschieren.
Anlässlich des Mordes an Thomas „Schmuddel“ Schulz demonstrierten 2005 mehr als 4.000 AntifaschistInnen in Dortmund gegen Neonazis. Dazu hatte ein breites Bündnis antifaschistischer Gruppen aufgerufen. Der Mord bewirkte zwar kurzzeitig eine mediale Skandalisierung. Gegenüber dem im Sommer 2000 praktizierten „Aufstand der Anständigen“ blieb hier eine breite zivilgesellschaftliche Teilnahme an der Empörung aber weitgehend aus. Die Tat wurde bald zum Konflikt zwischen linken und rechten Jugendbanden verklärt und schlussendlich durch das richterliche Urteil vollends entpolitisiert. Auch heute noch beschränkt sich der hiesige bürgerliche Protest darauf, eine Kundgebung fernab vom eigentlichen Spektakel abzuhalten, anstatt sich den Neonazis effektiv in den Weg zu stellen, wie jüngst in Köln zum so genannten Anti-Islamisierungskongress der Rechtspopulisten geschehen. Für uns hingegen kann nur eine radikale Kritik kapitalistischer Vergesellschaftung, die auch die Ablehnung von Volk, Staat, Nation und Kapital einschließt, letztlich die befreite Gesellschaft ein Stück näher bringen.
Kommt zur antifaschistischen Demonstration:
28.03.2009 / 15:00 h / Dortmund / Hauptbahnhof (Vorplatz)
Gegen Neonazis und deutsche Verhältnisse!
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