Sie wohnen in Zelten, kochen zusammen, träumen im Schlafsack von einer besseren Welt: Tausende Globalisierungskritiker leben derzeit in den vier G8-Camps rund um Rostock.
Von Peter Intelmann und Sven Wehde (veröffentlicht am 6. Juni 2007 in der Ostsee Zeitung)
Reddelich/ Bützow (OZ/dpa)
Früher ist er ihnen hinterhergelaufen, sagt er, Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit, das waren Größen im Frankfurter Häuserkampf, zentrale Figuren der Sponti-Leitkultur, es waren auch seine Helden. Fischer ist jetzt Ex-Außenminister und Professor in der amerikanischen Efeu-Liga. Cohn-Bendit der grüne Star im Europaparlament. Wolf Wetzel aber steht hier in Reddelich am Dorfrand in einem Gewerbegebiet, irgendwo im Nirgendwo an der mecklenburgischen Küste, sechs Kilometer Luftlinie von Heiligendamm und gibt eine Art Fremdenführer.
Es ist nämlich so, dass man als Journalist nicht einfach rein darf ins Camp. Man braucht jemanden, der einem Auskunft gibt und die Dinge erklärt. Man braucht jemanden wie Wolf Wetzel, 52 Jahre alt, Journalist, Aktivist, Frankfurter, ein freundlicher Mensch. Reddelich ist eines von Camps der Gipfelgegner. Reddelich sind Zelte und Wohnmobile auf gelbgrüner Wiese hinter Firmen, die mit Schwimmbadtechnik oder Fenstern und Türen ihr Geld verdienen. Vor allem aber ist Reddelich jetzt am Dienstagmittag sehr ruhig uns entspannt. Junge Leute liegen in der Sonne oder schlendern über Rindenmulchwege zur Gemeinschaftsküche, irgendwo weht eine St.-Pauli-Gahne, es gibt Sammelstellen für Altglas, Pfandflaschen und Kompost, Werkzeug wird am alten Bauwagen nur bis 18 Uhr ausgeliehen, auf der anderen Straßenseite steht die Bühne für Konzerte, und als ein alter, schwarzer Corsa doch noch anspringt, gibt es Applaus.
Das Leben der Anderen geht einen ruhigen Gang. Es ein wenig wie Woodstock ohne Jimi Hendrix. Es ist sehr friedlich. "Sauber, ordentlich, wirklich nett", sagt ein älteres Ehepaar, das sich das Lager mal angucken will. 5500 Menschen sind jetzt hier, aus Deutschland und Europa, aus Mexiko oder Indien. Es ist aber noch Platz für mehr, und es kommen auch laufend neue Bewohner die Straße hinunter, Schlafsäcke unterm Arm und Träume von einem anderen Leben im Kopf. Ein wenig probieren sie das hier schon mal aus. Das Camp ist eingeteilt in Viertel, in Barrios. Ein Viertel für die IG Metall, ein Viertel für Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, ein Viertel für die Autonomen, 25 Gruppen insgesamt, und wenn man kleinen hölzernen Wegweiser mit der schwarzen Schrift folgt, kommt man zur Antisexist-Contact-and Awareness-Croup. Jedes Viertel hat ein Plenum und Vertreter für das große Plenum. Im kleinen Plenum werden die Probleme des Viertels beraten, im großen Plenum abends um neun im Zirkuszelt die des ganzen Camps. Das Gelände hier haben sie gemietet. Wer kann, zahlt pro Tag fünf Euro, und duschen und Zähne putzen kann man auch.
Nein, sagt Wetzel, Fischer und Cohn-Bendit hätten die alten Ideale verraten. Sie seien "Opfer der Macht, wie so viele". Er segelt weiter nach den alten Positionen, nach den Marken Basisdemokratie und Selbstbestimmung.
Und wie halten Sie es mit Gewalt, Herr Wetzel? "Ich bin kein Pazifist", sagt er. "Ich liebe die Gewalt nicht. Aber ich weiß, dass sich noch nichts wirklich friedlich verändert hat. Alle bürgerlichen Demokratien sind durch Gewalt an die Macht gekommen." Dann hat er keine Zeit mehr, dann muss er los. Svea (18) aus Lübeck ist seit einigen Tagen hier im Camp, und heute wird sie sich mit anderen auf eine Straße nach Heiligendamm setzen, umd den Gipfel zu blockieren. Die Polizei wir sie auffordern zu gehen, aber sie wird nicht gehen. "Weil es nicht sein kann, dass unser Wohlstand auf Kosten der südlichen Welt geht. Dass dort Hunger und Not herrschen." Die Polizisten werden Svea wohl wegtragen.
Das Zeltlager von Reddelich ist voll, auch das in Wichmannsdorf ist gut besucht. Im Camp von Bützow herrscht dagegen gähnende Leere. Das von der Gewerkschaftsjugend organisierte Lager südlich von Rostock hätte eigentlich Platz für 15 000 Gäste. Gestern, einen Tag vor Beginn des G8-Gipfels, hatten sich dort aber lediglich "maximal 100 Leute" niedergelassen, wie Sprecher Andre Harder sagt. Täglich treten dort Bands auf. Das Kulturprogramm wird trotz Hunderter Gäste-Absagen fortgesetzt. Ein Zeltplatz kostet dort pro Nacht 10 Euro. Warum das Camp leer blieb, ist laut Harder unklar. "Die Ursachenforschung werden wir erst nachher betreiben", sagt er.
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