Dienstag, 5. Juni 2007

Knisternde Spannung und nackte Tatsachen

Gestern stoppte die Polizei eine Demo gegen Asylpolitik mit 10 000 Teilnehmern. Die Stimmung stand auf der Kippe. Es blieb aber weitgehend friedlich.

Von Michael Meyer und Doris Kesselring (erschienen am 5. Juni in der Ostsee Zeitung)

Rostock (OZ) Die Stimmung kippt 18.14 Uhr. Laute Buuuuuh-Rufe in der Parkstraße von Rostock am Hansaviertel. Seit zwei Stunden steht der Demozug mit 10 000 Personen still. Nun die Entscheidung. "Die Demo ist offeziell beendet", sagt Organisator Olaf Bernau.

Die Polizeileitung hatte entschieden, dass der Zug nicht wie geplant durch die Innenstadt laufen dürfe, sondern über eine Ausweichroute zum Stadthafen, wo die Kundgebungen und Kulturfest geplant waren. "Keine Chance. Auf keinen Fall durch die Fußgängezone", sagt Einsatzleiter Gerhard Danzl. Die Demoleitung akzeptiert das nicht. "Wir werden nicht auf diesen politischen Leim gehen. Dann sie uns bald nicht nur die Routen sondern die Inhalte vor."

Die Inhalte der Demo gehen an diesem Tag unter. Die Demonstranten wollen sich für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten einsetzen. Ein Großteil tut das mit kreativen Ideen und lautstarken Protest. Eine Demonstrantengruppe hatte sich mit dem nudistischen Deeskalationskonzept "Naked Revolution" ausgezogen und Polizisten aufgefordert, es ihnen nachzutun: "Seid mutig, traut euch. Macht euch nackig, reiht euch ein." Die Clownsarmee macht dazu Blödsinn. Demo: "Stoppt Abschiebung! Papiere für alle! Lager schließen!"

Während von im Zug politisches Engagement und Spaß herrschen, laufen hinten 2500 Schwarzgekleidete. Sonnenbrillen, Halstücher, Kapuzenpulli, Walkie Talkie gehören zur Ausrüstung. Hunderte sind gegen das ausdrückliche Vermummungsverbot der Polizei maskiert. Aus diesem Block, in dem Autonome aus der Ukraine, Russland, Frankreich, Spanien, Dänemark mitlaufen, werden verfassungsfeindliche Rufe skandiert: "Feuer und Flamme für diesen Staat. Deutschland ist nur ein kranker Gedanke."

Angespannte knisternde Spannung liegt in der Luft. Aggressivität, blanker Hass im "Schwarzen Block". Nervosität, Ablehnung bei Polizisten. Doch ohne Probleme löst sich die Demo auf. Bereits am Vormittag kommt es vor dem Sonnenblumen-Haus in Rostock-Lichtenhagen zu Auseinadersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Am Morgen hatten hunderte Gipfelgegner die Rostocker Ausländerbehörde blockiert – friedlich. Sie protestieren am Aktionstag Migration gegen die Asylpolitik der G8-Staaten. Anschließend treffen sich 1400 Demostranten in Lichtenhagen, um an die Anschläge von 1992 zu erinnern und "Für globale Bewegungsfreiheit – gleiche Rechte für alle" zu fordern. Am Rande der sonst friedlichen Kundgebung kommt es zu Rangeleien zwischen etwa 400 teilweise vermummten Autonomen und der Polizei. Einige Flaschen fliegen. Die Polizei nimmt vier Personen fest – wegen Verstoßes gegen das Vermummungsverbot. "Lasst euch nicht provozieren", fordern die Veranstalter die Demonstranten auf. "Wir wollen keinen Stress mit den Bullen." "Haut ab", rufen die Kundgebungsteilnehmer den Polizisten zu und: "Wo wart ihr 1992?" Polizisten drängen immer wieder in den Block der Demonstranten. Eine Strategie die Brigitte Klaas vom Komitee für Grundrechte und Demokratie ablehnt. "Das provoziert unnötig", meint die 49-jährige Frankfurterin, die mit 28 Komitee- Mitgliedern die Demos in Rostock beobachtet. Während viele Demo-Teilnehmer zur Deeskalation beitrügen, habe sie das von Seiten der Polizei nicht festgestellt.

Das will Lutz Siebert vom Konfliktteam nicht so stehen lassen. "Mit 60 Kollegen sind wir in MV im Einsatz", erklärt der Mann in der leuchtenden Weste mit der Aufschrift "Konfliktteam". Auch in Lichtenhagen hätten sie Gespräche mit Demonstranten geführt, versucht die polizeilichen Maßnahmen transparent zu machen – und "Störer" der friedlichen Demo herauszufiltern.


Gleiche Gewalt gegen alle

Rostock: Verhaftungen bei Demonstration zu Flucht und Migration. Kampagne “Block G8” kritisiert Spaltung. Militante Demonstration gegen Bush angekündigt.

Von Rüdiger Göbel (veröffentlicht am 5. Juni in der jungen Welt)

Die Stimmung in Rostock ist nach den Auseinandersetzungen am der Großdemonstration gegen den bevorstehenden G-8-Gipfel angespannt. Wer in der Ostseestadt dieser Tage mit schwarzen Outfit angetroffen wird , und sei es nur ein T-Shirt, ist verdächtigt und muß Polizeirepression befürchten. Am Rande einer friedlichen Kundgebung zum Thema Flucht und Migration nahmen martialistisch ausgerüstete Polizisten mehere Demonstraten fest. Im Unterschied zum Samstag gab es gegen Polizeiprovokation keine militante Gegenwehr.

Der Druck auf prominente Globalisierungskritiker ist derwell enorm. Medien und Politik drängen die Bewegung, sich von den “Randalierern” und “Gewalttätern” zu distanzieren. Nicht jeder aus dem Demonstrationsbündnis hielt dem Sperrfeuer stand. So ließ sich dessen Sprecher Monty Schädel am Sonntag abend im ZDF-Interview zu der Versicherung hinreißen, man werde künftig mit der Polizei eng kooperieren und mutmaßlich Rechtsbrecher bei den Behörden denuzieren. Auch das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC ging auf deutliche Distanz zu militanten Gipfelgegnern. Im Hinblick auf die Randalierer sei zuvor nicht in aller Schärfe gesagt worden, “wir wollen euch nicht sehen, wir wollen euch nicht dabei haben”, sagte ATTAC-Sprecher Peter Wahl am Montag im NDR. “Das hätte mit viel größerer Klarheit formuliert werden sollen, und ich denke, daß es jetzt zwingend notwendig ist, dies heute und für die nächsten Tage noch einmal sehr deutlich zu tun.”

Werner Rätz vom ATTAC-Koordinierungskreis entschuldigte sich am Montag bei den Rostocker Bürgern für die Eskalation. Gegenüber junge Welt präzensierte er, wie seine Organisation in den kommenden Tagen mit mutmaßlichen Militanten umzugehen gedenke: “Wenn einer ankommt, mit Kapuze und Palästinensertuch vor dem Gesicht, dann sagen wir dem, er ist unerwünscht.” Doch die ATTAC-Spitze scheint fern von der Basis in den Protestcamps. Lea Voigt von der Kampagne “Block G8” war am Montag guter Dinge. Sie distanzierte sich vom Distanzierungsritual und bekräftigte, die Bewegung halte an ihren Aktionsrahmen, der Regelverletzungen beinhalte, fest. Im Lager Reddelich würden weitere Blockadeträinings stattfinden. “Die Stimmung ist gut”, sagt Voigt gegenüber der junge Welt. Ziel sei, in den kommenden Tagen den Flughafen Rostock-Laage und die Zufahrtsstraßen nach Heiligendamm zu blockieren. Wer sich an “Block G8” beteilige, müsse allerdings Absprachen einhalten. Die sähen vor, daß die Blockaden so lange wie möglich aufrecht erhalten, Polizisten aber nicht attackiert werden. Wer eine andere Form des Protests wähle, könne dies tun, dürfe ander Demonstranten jedoch nicht gefährden.

Michael Kronawitter von der Antifaschisten Linken Berlin schließlich verurteilte die Verurteilung der “Autonomen”. Der “militanteWiderstand” des so genannt Schwarzen Blockes am Samstag sei gerechtfertigt und wichtig gewesen – als Signal in die Welt, daß es auch in den Metropolen Widerspüche gibt. “Man soll doch nicht so tun, aks wäre in Deutschland alles Friede-Freude- Eierkuchen”, so Kronawitter gegenüber jW. Kriegseinsätze und Sozialabbau seien alltägliche Gewalt, die als solche einfach nicht wahrgenommen werde. Die Aufregung über die Eskalation – auch bei Teilen der Linken – sei so groß, weil in den vergangen Jahren stets die Polizei den Ablauf von Protesten bestimmt und dominiert habe. In Rostock seien nun erstmals wieder martialistisch ausgerüstete Beamte zurückgedrängt worden. “Es hat nicht wenige mit klammheimlicher Freude berührt, Berliner Polizisten auch einmal rennen zu sehen”, meinte Kronawitter. “Militanz heißt, nicht noch die andere Wange hinzuhalten, sondern auch mal zurückzuschlagen. Das wird in den kommenden Tagen sicher passieren. Und das ist auch gut so.” Kronawitter erwartet für den heutigen Diestag nachmittag “entschlossene Proteste” in Rostock-Laage – US- Präsident George W. Bush kommt.

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