Samstag, 25. August 2007

Im Schatten des Gipfels

Deutsche Globalisierungsgewinner in Lateinamerika

Von Gaston Kirsche erschienen in Direkte Aktion, Juli/August 2007

Ungeachtet der Proteste gegen den G8-Gipfel in Deutschland wurden im Schatten des Gipfelspektakels wie eh und je von den Globalisierungsgewinnern Deutschlands gute Geschäfte gemacht. Der lange stagnierenden Binnenkonjunktur und dem Rückgang

der Massenkaufkraft steht seit Jahrzehnten der boomende Export gegenüber – Deutschland ist der Exportweltmeister.

Wer die USA für den Hauptschuldigen weltweiter Ausbeutung hält, übersieht leicht, dass selbst im „Hinterhof“ der USA, in Lateinamerika, deren Stellung nicht unangefochten ist. Das deutsche Kapital ist auch ohne Freihandelsabkommen der Europäischen

Union ähnlich wie Spanien massiv in Lateinamerika vertreten.

So stiegen von 2004 bis 2006 die gesamten Investitionen in Lateinamerika um 15 Mrd. auf 60 Mrd. US-Dollar. Es gibt geradezu einen Ansturm des deutschen Kapitals auf die Filetstücke der Industrien in den größeren Ökonomien:

22 Mrd. deutsche Direktinvestitionen in Brasilien, 17 Mrd. in Mexiko – die beiden größten Länder, in denen deutsches Kapital Schlüsselpositionen in mehreren Industriebranchen innehat. „Dabei handelt es sich vorrangig um die Branchen KFZ und KFZ-Teile,

Chemie, Pharmazie, Elektrotechnik und Maschinenbau. Damit bleibt diese Region von strategischer Bedeutung für die deutsche Wirtschaft“, so Peter Rösler, stellvertretender Geschäftsführer des Ibero-Amerika-Vereins (IAV) mit Sitz in Hamburg an der Alster. Dem Verein haben sich zahlreiche Firmen angeschlossen; es ist ein Zentrum ihrer Selbstverständigung über ihre Expansionsstrategien

in Lateinamerika mit guten Verbindungen in die alte und neue Bundesregierung: „Im Wege des diplomatischen Geleitschutzes kann der Bund bei auftretenden politischen Problemen für deutsche Investitionen schnell und effektiv Abhilfe schaffen“, wie Rösler schreibt.

Eine zentrale Schaltstelle hierbei ist die Lateinamerika-Initiative der deutschen Wirtschaft (LAI). Diese wurde 1994 vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und dem Ibero-Amerika-Verein gegründet. Dazu gesellten sich der Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels und der Bundesverband

deutscher Banken. Vorsitzender der Initiative ist Ludwig Georg Braun, Präsident des DIHK. In Ihrem Selbstverständnis

heißt es: „Zielsetzung der Lateinamerika-Initiative ist die Verbesserung des Gesamtimages der Region in Deutschland sowie die Sicherung und der Ausbau der deutschen Wirtschaftsposition, insbesondere des Mittelstandes in Lateinamerika.“ Als feste Einrichtung hierfür wurde ein Gesprächskreis Lateinamerika eingerichtet. Mitglieder sind von der Bundesregierung

das Auswärtige Amt, das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie von den Kapitalverbänden die Mitglieder der LAI sowie der Sprecher der deutschen

Auslandshandelskammern in Lateinamerika. Zusätzlich veranstaltet die LAI die Lateinamerika-Konferenz der deutschen Wirtschaft und organisiert Delegationsreisen und Informationsveranstaltungen.

Wie Kapitalismus funktioniert, wird aus den „Wirtschaftlichen Mitteilungen“ des Ibero-Amerika-Vereins deutlicher als aus dem Globalisierungsgerede deutscher PolitikerInnen. So heißt es in dem Papier „Investieren in Paraguay“:

Es gibt eine Reihe von Faktoren, die ein Direktengagement in Paraguay attraktiv machen könnten. Der gesetzliche

Mindestlohn liegt bei 210 US-Dollar im Monat … In Paraguay spielt die Einkommenssteuer praktisch keine Rolle.

Neben einer niedrigen Steuerlast, niedrigen Energiekosten und einem niedrigen Lohnniveau gibt es verschiedene staatliche Investitions- und Produktionsanreize, wie z.B. das Maquila-Programm, das Investitionsförderungsgesetz und das Freihandelszonen-Regime.“ Die Besitzer der Maquilas, Weltmarktfabriken für arbeitsintensive Montagetätigkeiten, bekommen Zollvergünstigungen, und „erhoben wird lediglich eine 1%ige Maquila-Steuer“. So unterbieten sich Länder, um Auslandskapital

anzulocken.

Selbst die venezolanische Regierung des rhetorisch radikalen Hugo Chávez nahm an der diesjährigen Lateinamerika-Konferenz

der deutschen Wirtschaft am 15. Mai in Essen mit einer 30-köpfigen Delegation teil. Jesús Paredes, Vizeminister für Industrie und Bergbau Venezuelas, warb dort um das Engagement von deutschem Kapital: „Unsere Türen sind offen für private Investoren, das möchte ich betonen.“ Da verwundert es nicht, dass auch deutsche Wirtschaftsvertreter auf den Markt und die Rendite schauen: „Die Chávez-Regierung ist viel pragmatischer, als es den Anschein hat“, so Peter Rösler vom Ibero-Amerika-Verein – es gäbe im Strom-, Öl-, und Telefonsektor gar „keine wirklichen Verstaatlichungen, sondern vielmehr Übernahmen von Aktienmehrheiten an der Börse“. Und der Geschäftsführer der deutsch-venezolanischen Handelskammer in Caracas, Thomas Voigt, sprach, ebenfalls auf der Lateinamerika-Konferenz von „Rekordumsätzen deutscher Firmen“.

Unbeirrt von Chávez´ antiimperialistischer Rhetorik erklärte Voigt: „Gute Geschäfte warten in der Erdölindustrie und bei Infrastrukturprojekten. Hier werden die Deutschen als Zulieferer von Technologie und Know-How gebraucht“. Die staatliche venezolanische Erdölgesellschaft PdVSA will in den nächsten fünf Jahren 56 Mrd. US-Dollar investieren, in der Infrastruktur des Landes sind Projekte im Wert von 100 Mrd. US-Dollar geplant. Vizeminister Jesús Paredes warb um deutsche Firmen, wohl auch als Ersatz für USFirmen.

Aber trotz Venezuela: Die USA sind mit 226,5 Mrd. US-Dollar Investitionen in Lateinamerika weiterhin die Nummer eins, Spanien

mit 70 Mrd. auf Platz zwei, gefolgt von Deutschland. Staatliche Stellen wie die Bundesagentur für Außenwirtschaft (bfai) –

Servicestelle des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie – wirken deshalb mit Kapitalverbänden wie dem BDI eng zusammen, um optimale Bedingungen zur Expansion zu erreichen: So gaben vier Verbände des Großkapitals der deutschen Regierung für ihre EU-Ratspräsidentschaft zum 1. Januar 2007 mit auf den Weg, sich verstärkt der Andenregion Südamerikas anzunehmen: „Die Länder der Andengemeinschaft sind wichtige Rohstofflieferanten und gehören zu den Ländern

mit der größten biologischen Artenvielfalt der Welt. Es liegt im Interesse der Europäischen Union, wirtschaftlich aktiv in dieser

Region vertreten zu sein“. Insbesondere stört die deutschen Kapitalvertreter, dass die USA bereits bilaterale Freihandelsabkommen mit den meisten Staaten der Region abgeschlossen haben: „Es ist davon auszugehen, dass Importe von … Investitions- und Konsumgütern aus den USA zu jetzt niedrigeren Zollsätzen deutsche und europäische Importe verdrängen werden und US-amerikanische Investoren aufgrund des besseren Schutzes günstigere Bedingungen in lokalen Großprojekten haben werden.“

Auf Tagungen werden Gegenstrategien entwickelt, so unter dem Motto „Verpasster Trend: Welche Bedeutung hat die Boomregion

Lateinamerika für deutsche Unternehmen?“ am 5. Juni im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld in der Zentrale der Euler Hermes

Kreditversicherung, die mit ihren staatlich gedeckten Hermesbürgschaften deutsche Auslandsinvestitionen gegen Risiken absichert.

Dort referierte Markus Utesch vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie zum Thema: „Handelspartner Lateinamerika

Neubeginn einer bewährten Beziehung?“. Weiter ging es mit Berichten von Kapitalvertretern zu „Markteintritt und Marktsicherung

in Lateinamerika“.

Proteste gegen die Tagung ließen sich dagegen nicht organisieren – alles schaute auf Heiligendamm, wo sich die G8 trafen. Tagungen

von Kapitalverbänden gibt es häufiger, so auch am 20. Juni in Ludwigshafen zum Thema: Mexiko – erfolgreich Geschäfte

abschließen!“, ebenfalls unter Beteiligung des Ibero-Amerika-Vereins: „Mexiko ist seit Jahrzehnten ein beliebter Standort für deutsche Unternehmen und wird mit einem Binnenmarkt von 107 Millionen Konsumenten auch weiterhin vielfältige Möglichkeiten

bieten, erfolgreich Geschäfte abzuschließen.“

Hervorgehoben wird in der Einladung das Freihandelsabkommen Mexikos mit der Europäischen Union.

Die Präsenz deutscher Unternehmen in Lateinamerika und die Bedingungen, zu denen dort Kapital verwertet wird, könnte für

eine Antiglobalisierungsbewegung in der BRD ein zentraler Anlass für Protest sein, wird aber meist übersehen, obwohl deutsche KapitalistInnen außerhalb der EU nirgendwo sonst auf der Welt so dominant sind. Nicht nur beim Autobau, wo der VW-Konzern im

letzten Jahr sowohl in Mexiko als auch in Brasilien massiv die Arbeit verdichtet hat und die Löhne drückt. In der Industrie bestimmen

Deutsche wesentlich die Arbeits- und Produktionsbedingungen. Allein im brasilianischen Industriezentrum Sao Paulo haben

sie 800 Niederlassungen: Deutsche Firmen, deutsches Geld … Und etliche der Firmenzentralen und Netzwerke haben ihren Sitz in

Hamburg.

Bereits jetzt wirbt der Ibero-Amerika-Verein für seinen Ibero-Amerika-Tag, der am 11. und 12. Oktober in Hamburg in der Handelskammer stattfindet. Geplant sind ein „Wirtschaftstag Peru“ am 11. Oktober ab 9 Uhr, auf der anschließenden Konferenz: „Infrastruktur, Logistik und Handel“, wird am 12. Oktober zu Eröffnung der Präsident von El Salvador, Elías Antonio Saca, von der rechten Partei ARENA sprechen, die während des Bürgerkrieges Todesschwadronen gegen die aufständische Linke unterstützt hat. Wenn das kein konkreter Anlass ist …


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