Samstag, 25. August 2007

Wer hat Angst vorm schwarzen Block

Eine Einschätzung der Straßenschlacht von Rostock

Von Ralf Dreis, FAU Rhein/Main erschienen in Direkte Aktion, Juli/August 2007


Große Aufgeregtheit nach den Auseinandersetzungen auf der Rostocker Großdemonstration am 2. Juni. War es aufgestaute Wut über die vorangegangenen Razzien? Die Polizeischikanen während der Hamburger Demo eine Woche zuvor? Reaktion auf das provokante Auftreten vermummter Polizeieinheiten? Wurde die Straßenschlacht von gewaltgeilen Autonomen, Greiftrupps der Polizei oder Steine schmeißenden Agents Provocateurs ausgelöst? Abschließend wird sich dies wohl nicht klären lassen. Natürlich sind viele erschrocken über die Bilder der Straßenschlacht mit brennendem Auto und Verletzten auf beiden Seiten. Doch sie machten für einen Moment die üblichen strukturellen Gewaltverhältnisse sichtbar: Die Unterdrückung in Schule und Elternhaus, im Betrieb,auf Behörden, in Asylbewerberlagern, im Knast, in Heimen oder Fußgängerzonen.

Brennendes Interesse

Dass die Bilder der Gewalt die Berichterstattung über eine internationale Großdemonstration mit 60.000 bis 80.000 TeilnehmerInnen dominieren, wird in der Bewegung völlig zu recht kritisiert. Der angebliche Bürgerkrieg in Rostock soll die politische Botschaft des Protestes in den Hintergrund drängen. Doch nicht schwarz gekleidete DemonstrantInnen verhindern, dass die Forderungen und Inhalte der Bewegung aufgegriffen werden, sondern eine Medienmaschinerie, die allein auf spektakuläre und reißerische Schlagzeilen setzt. Kurz gesagt, ein brennendes Auto verkauft sich besser als Workshops und Diskussionsrunden.

Da dies als bekannt vorausgesetzt werden kann und auch die Wahl von Zeitpunkt und Ort der Eskalation keinen Zweifel daran lässt, dass die Polizei genau diese Bilder produzieren wollte, um die Schlagzeile „Autonome verwüsten Rostock“ zu ermöglichen, stellt sich die Frage der Sinnhaftigkeit der Auseinandersetzung.

Klar, die heiß ersehnten Bilder der Straßenschlacht spielen den Massenmedien ebenso in die Hände wie den staatlichen Repressionsorganen. Die losgetretene „Gewaltdebatte“ zielt zum einen darauf ab, der Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung die breite Zustimmung zu entziehen, die sie momentan genießt. Zweitens soll deren linksradikaler Teil isoliert und als Grund für die weitere Demontage des Demonstrationsrechts und des Abbaus elementarer Grundrechte benutzt werden.

Die Polizeieinheiten haben sich daran gewöhnt, auf keinen effektiven Widerstand zu stoßen, wenn sie in Demos hineinknüppeln, einzelne herausziehen, demütigen, schikanieren und brutal und straffrei zuschlagen.“

Die Debatte um Plastikgeschosse und den Einsatz der GSG9 gegen DemonstrantInnen zeigt die Richtung an. Drittens wird versucht davon abzulenken, dass die tatsächliche weltweit ausgeübte Gewalt wie Krieg, Folter, Hunger, Abschiebung und Ausbeutung, maßgeblich von den G8-Staaten verursacht wird und diese nicht an Lösungen für die drängenden Probleme der Welt arbeiten,
sondern deren kapitalistische Ausplünderung organisieren.

Gefahrenabwehr

Doch abgesehen von Pressehysterie, der Aufregung bei „moderaten“ Teilen der Bewegung, den hektischen Distanzierungen vor laufenden Kameras und der gewohnten Hetze der üblichen Hardliner, brachte die Rostocker Großdemonstration gegen den G8-Gipfel eine interessante Neuerung: Wir sind der Polizei nicht wehrlos ausgeliefert!

Es ist möglich, die Robocop-Einheiten in Schach zu halten und stellenweise sogar in die Flucht zu schlagen. Der Angriff auf die Demo wurde mit einem Steinhagel beantwortet, wie ihn diese Generation deutscher Bullen noch nicht erlebt haben dürfte.

Anrückende Hundertschaften wurden ein ums andere Mal zurückgedrängt. Das Bild fliehender Staatsschergen muss bei Tausenden jüngerer DemonstrantInnen einen Aha-Effekt ausgelöst haben.

Wer gewohnt ist, im Wanderkessel durch Städte eskortiert zu werden, wer gelernt hat, dass man sich kaum gegen Polizeiübergriffe schützen kann, und ständig der Willkür von Robocops ausgeliefert ist, muss von der Tatsache, sich auch einmal wehren zu können, schwer beeindruckt sein. Auch die Polizeieinheiten haben sich schon lange daran gewöhnt, auf keinen effektiven

Widerstand zu stoßen, wenn sie in Demos hineinknüppeln, wenn Greiftrupps einzelne herausziehen, wenn sie demütigen, schikanieren und brutal und straffrei zuschlagen.

Der Anblick einer fliehenden Hundertschaft war in diesem Land einfach ausgesprochen selten. Die Formulierung, wonach sich „einige Gewalttäter unter die friedlichen Demonstranten gemischt“ hätten, ignoriert schlicht die Tatsache, dass die „Militanten“ ein legitimer Bestandteil der Bewegung sind. Solange es den „friedlichen“ DemonstrantInnen nicht gelingt, den demütigenden

und brutalen Angriffen vermummter Kampfeinheiten der Polizei Einhalt zu gebieten, gibt es schon aus Gründen der Sicherheit gute Argumente dafür, als so genannter Schwarzer Block in Demos zu laufen.

Allein am Block der Interventionistischen Linken beteiligten sich in Rostock ca. 8.000 Menschen. Die „Militanten“ haben sich nirgends hineingemogelt, sondern waren ein leicht erkennbarer und klar abgegrenzter Teil der Demo. Wer dort mitgelaufen ist, tat es aus ebenso freien Stücken, wie sich andere der FAU, ATTAC oder der Grünen Jugend angeschlossen haben. Wichtig sollte sein, gegenseitige Gefährdungen zu vermeiden, was nur geht, wenn die „Moderaten“ die „Militanten“ nicht dämonisieren und letztere das Sicherheitsbedürfnis anderer akzeptieren.

Mut schoepfen, nicht ansaufen

Und hier liegt das eigentliche Problem, das meines Erachtens in einem Drogen- bzw. Alkoholproblem besteht. Besoffene gefährden andere auf Demonstrationen, nerven in den Camps und sind unberechenbar. Im Block „militanter“ DemoteilnehmerInnen sollten schon aus Selbstschutzgründen keine Besoffenen mitlaufen. Oder geht es doch nur um martialisches Mackergehabe in der Gruppe? Das Einwerfen der Scheiben vollbesetzter Cafés ist jedenfalls nicht revolutionär, sondern entweder das Werk von Zivilbullen, besoffenen Hooligans oder rücksichtslos dummen und gefährlichen Menschen.

Was die Kriminalisierung im Vorfeld der G8-Proteste und die Medienhetze nach der Rostocker Großdemonstration nicht geschafft haben, ist auch der Führung von ATTAC nicht gelungen: Die Bewegung an der Militanzfrage zu spalten. Es war beeindrukkend zu sehen, dass sich Tausende GipfelgegnerInnen nicht einschüchtern ließen:

Am Sonntag beteiligten sich 5.000 Menschen am Aktionstag Globale Landwirtschaft. Am Montag demonstrierten 12.000 für Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte für MigrantInnen. In den bunt gemischten Widerstandcamps, in denen zwischen 15.000 und 17.000 Menschen zelteten, herrschte eine solidarische und gelassene Stimmung. Auf den Plena wurde nicht diskutiert, ob die geplanten Blockaden stattfinden, sondern wie sie in der angespannten Situation organisiert werden können.

Gute Vorbereitung, vor Ort gebildete „Räte“ und f lexibles Agieren, sorgten für den durchschlagenden Erfolg des dezentralen Blockadekonzepts. Heiligendamm war nur noch über Luft und Wasser erreichbar. Die Tatsache, dass über 15.000 Menschen die Demoverbote des Bundesverfassungsgerichts schlicht ignoriert haben, macht Hoffnung für die Zukunft.

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