Mittwoch, 10. April 2019

Das Geheimnis von Hammer und Sichel. Unbekannte Grundsätze realsozialistischer Technologie

Teil 1

Digitalisierung der Schulen ist in aller Munde. Angeblich lernt es sich viel besser am Rechner als an der Kreidetafel. Wir erinnern hingegen an ein Prinzip der Hightechsparte schlechthin, der Luft- und Raumfahrt.



Wie perfekt kann man irgendetwas machen?
KISS – Keep it simple, stupid” war der Legende nach der Marschbefehl, den Ed Heinemann seinen Ingenieuren gab.
In den 1950er Jahren, mit Erfahrungen aus dem Korea Krieg, hatte die US Navy erkannt, dass ihre letzten Kampfflugzeuge mit Kolbenmotor und Propeller doch überholt waren. An der Ausschreibung für den neuen Kampfjet beteiligte sich auch Heinemann‘s Arbeitgeber, die Douglas Aircraft Company, und gewann.
„Heinemann‘s Hot Rod“ (ein Hot Rod war seinerzeit ein aufgemotztes Auto) ist der Spitzname, den die Douglas A-4 Skyhawk bekam. Die A-4 war klein, aber gemein, überraschend vielseitig – und sehr einfach gebaut.


Wenn auf ein Flugzeug geschossen wird kann schon mal was kaputt gehen. Zum Beispiel die Hydraulik, die das Fahrgestell ausfährt. Bei den meisten Flugzeugen ist eine Landung ohne Hydraulik also eine gefährliche Rutschpartie. Eine Landung auf einem Flugzeugträger, derweil, ist ohne Fahrgestell meist unmöglich.
Um solche Probleme zu vermeiden könnte man die Hydraulik extra panzern, oder gleich ein zweites Hydrauliksystem einbauen.
Aber Heinemann‘s Hot Rod bekam stattdessen ein Fahrgestell, dass nach hinten ausklappte, und hinter so schwachen Luken steckte, dass diese dessen Gewicht nicht halten konnten. Der Pilot löste nötigenfalls nur eine Verriegelung, und nachdem das Fahrwerk die Luken von innen aufgebrochen hatte, wurde es vom hunderte km/h schnellen Luftstrom in Position gedrückt. Ganz einfach, ohne Hydraulik.
Und falls das nicht im Sinne des Piloten war, konnte die Skyhawk auch auf den zwei Abwurftanks landen, mit denen sie üblicherweise über dem Ozean unterwegs war. Die waren ohnehin zum wegwerfen gemacht, und mit denen als Knautschzone trug der Flieger von der Bauchlandung nur geringen Blechschaden an der Nase davon, eine Bagatelle. Einfach. Perfekt.

Einfache Technik hält nicht nur länger, und ist einfacher zu reparieren. Mann kann sie auch einfacher umbauen und modernisieren. Mit soviel neuer Elektronik etc., dass die A-4 glatt einen neuen Namen braucht (z.B. die „Fighting Hawk“ für Argentinien). Aber die moderne Elektronik steckt auch da immer noch in Heinemann‘s Hot Rod. Und fliegt in einigen Ländern bis heute, gute 65 Jahre, nach dem Erstflug des Typs.

Während die A-4 lange nicht mehr im US Dienst steht fliegt eine andere Maschine der gleichen Generation immer noch für die US Air Force.
Die letzte B-52 wurde 1962 ausgeliefert. Tatsächlich gibt es in den heutigen Besatzungen dieser Bomber einige Soldaten, die mit der selben Maschine fliegen, wie ihre Väter und sogar Großväter vor ihnen. Die Truppe nennt ihren Flieger liebevoll BUFF. „Big Ugly Fat F****r“.
Wie die A-4 ist auch die B-52 so einfach, dass man sie umbauen kann. Moderne Elektronik hat sie natürlich längst, bald soll sie neue Triebwerke kriegen.
Offiziell heißt es von der USAF, dass man „damit rechnet“, die B-52 tue ihren Dienst „bis in die 2050er Jahre“. Immer wenn bisher jemand eine genauere Vorhersage machte wurde er von der B-52 blamiert. In einem Witz heißt es, wenn die gerade eingeführte F-35 veraltet und verbraucht ist, und mit großer Zeremonie ausgemustert wird. Macht die Flugschau zum Abschied eine BUFF.

Wenn man sich bewusst macht, wie lange also Amerikanische Flugzeuge im Einsatz bleiben können, wie robust die sein müssen, überrascht vielleicht, was man auf amerikanische Militärflugplätze und Flugzeugträgern sehen kann.
In der Regel täglich sieht man eine lange, lange Reihe von Soldaten, die Seite an Seite das gesamte Flugfeld und sogar die ganze Länge der Rollbahn entlang gehen, die Augen auf dem Boden fixiert. Man sucht nach „foreign objects“, die „foreign object damage“ verursachen können.
Die Ansaugöffnungen, durch die die Triebwerke von Kampfjets atmen, sind in der Regel (zu den Ausnahmen gehören natürlich die A-4 und B-52) sehr viel näher am Boden, als bei den meisten Passagiermaschinen. So können sie im Flug engere Kurven fliegen, ohne das dem Triebwerk die Luft ausgeht. Aus perfekte Leistung optimierte Maschinen.
Es braucht nicht mal annähernd Vollgas, damit so ein Triebwerk einen ausgewachsenen, unvorsichtigen Menschen ansaugt und verschlingt. Ein Steinchen, oder ein kleines Stückchen Metall, die am Boden liegen, werden aufgesaugt wie Bier vor der Sperrstunde.
Dabei werden die foreign objects mit soviel Kraft angesaugt, wenn eine vergleichsweise weiche Schraube aus Stahl im Triebwerk auf eine Titanlegierung trifft, dann hinterlässt sie einen tiefen Abdruck, in dem man sogar das Gewinde erkennen kann.
Bei Drehzahlen, die in zehntausenden U/min gemessen werden, ist die kleinste Macke eine lebensgefährliche Sollbruchstelle. Was passiert, wenn ein Kompressorblatt abreißt, zeigte im letzten Jahr Southwest Flug 1380 über Pennsylvania. Obwohl zivile Triebwerke gebaut werden, um bei katastrophalem Versagen kein Schrapnell zu werfen, durchbohrten Trümmer des zerrissenen Triebwerks die Kabine, es gab Verletzte und eine Tote.
Die Soldaten, die Seite an Seite die Rollbahn abgehen gucken also mit gutem Grund ganz genau hin. Der Flugplatz ist für das Flugzeug, das perfekte Flugzeug, nicht umgekehrt.
Damit das perfekte Flugzeug ewig hält braucht es einen perfekten Flugplatz. Sauber, und täglich gesäubert.

Anders hält man es in Russland, und in anderen ehemaligen Ostblock-Staaten oder Sowjetrepubliken. Die porentief-reinen Rollbahnen, die man von NATO Flugplätzen gewohnt ist, gibt es hier nicht. Auch marschieren keine Soldaten täglich kilometerlange Pisten ab. Schrott bleibt lang genug liegen, um zu verrosten, zwischen den Betonplatten der Rollfelder wächst gerne schon mal Gras.
Ostblock-Triebwerke sind nicht etwa immun gegen Fremdkörper. Vielmehr beschlossen die sowjetischen Entwickler vor Jahrzehnten, dass im Krieg Sachen kaputt gehen, ein steriles Flugfeld also illusorisch ist.
Rollt eine MiG oder Sukhoi am Boden entlang sind die Ansaugöffnungen in Bodennähe durch Klappen geschützt, geatmet wird von oben. Wo alles, was angesaugt werden könnte, Federn hat.

Hört man dieses vermutet man leicht, Flugzeuge aus dem Ostblock müssen ja mindestens so unkaputtbar sein, wie Amerikanische, und so lange halten.
Tatsächlich aber wurden Kampfflugzeuge in der UdSSR für sehr viel kürzere Lebensdauern entwickelt, als im Westen.
Diese Lebensdauer misst sich in Flugstunden, und ihre Länge hängt von der Materialermüdung ab, die durch den Flugbetrieb entsteht. Wobei die B-52 und A-4 scheinbar wiederum Ausnahmen darstellen.
Für solchen Flugbetrieb fehlte nach dem Zerfall des Warschauer Pakts vielerorts einfach das Geld, wodurch Maschinen aus dem kalten Krieg bis heute im Dienst sind.
Einige Typen werden währenddessen immer weiter repariert und geflickt, fliegen weit länger als die Entwickler vorgesehen hatten – eben weil man sie reparieren und flicken kann.

Sowjetische/russische Technik ist bei uns oft mit einem Ruf der Unkaputtbarkeit behaftet. Dinge wie eine AK-47, und besonders die, sollen doch ewig halten, gerade weil sie so einfach gebaut sind.
Das stimmt nur zur Hälfte. Wenn heute ein Kämpfer in Afghanistan mit der gleichen Kalaschnikow schießt, wie vor ihm sein Vater, dann weil die meisten Teile daran vom Dorfschmied mit dem Hammer repariert werden können. Wenn im Osten auch nicht alles für die Ewigkeit gebaut wurde – was hält, hält oft, weil es sich einfach reparieren lässt. Mit dem Hammer.

Darin haben einige den fundamentalen Unterschied zwischen östlicher und westlicher Technik diagnostiziert. Manche haben diesen auf andere Bereiche übertragen, als Unterschied der grundsätzlichen Einstellung.
Perfektion, die ewig hält, wenn sie perfekt behandelt wird, oder (und?) perfekt simpel ist – und auf der anderen Seite etwas, dass gar nicht perfekt sein muss, eben weil man es einfach reparieren kann. Und gegebenenfalls ohnehin nicht so lang durchhalten muss, bevor etwas neues kommt – aber eben, falls nötig, falls das neue doch nicht kommt, doch weiter durchhalten kann. Weil es so einfach gebaut ist, so einfach zu reparieren ist.

Schlussendlich kann man den russischen Ansatz am Beispiel der sowjetischen Flagge zusammenfassen.
Viele Glauben, Hammer und Sichel sollen die Einheit von Arbeitern und Bauern demonstrieren. Das stimmt so nicht. Jene Einheit muss nicht extra vorgezeigt werden.
Vielmehr sehen wir da einen Hammer, der eine Sichel repariert.

Autor: "DerG"

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