Dienstag, 16. April 2019

Das Geheimnis von Hammer und Sichel. Unbekannte Grundsätze realsozialistischer Technologie

Teil 2

Verschwendung?

In den USA ist es ein Gemeinplatz, dass die Regierung sinnlos Geld verschwendet. Man ist gern der Meinung, dass eine Regierung nicht etwa etwas vom Wähler demokratisch legitimiertes ist, das im Interesse der Menschen arbeiten sollte, sondern ein fremdes Raubtier, dass den armen arbeitenden Menschen ihr hart verdientes Geld wegnimmt.

Es gibt zwar das Sprichwort „Decisions get made by those who show up“, Entscheidungen werden von denen getroffen, die erscheinen (anwesend sind). Aber statt sich auch zwischen den Wahlen mit der Politik zu beschäftigen, statt die Vertreter in der Legislatur zur Rede zu stellen, werden lieber nur Sprüche über „die da oben“ herumgeworfen. Und vornehmlich unanfechtbare Beispiele davon, wie doch das Geld mit vollen Händen verschwendet wird. „Ja, dafür ist Geld da!“… halt, nein, das letzte ist mehr unsere kartoffeldeutsche Variante. Wo sich alle fürchterlich für die Politik interessieren, solang sie nix anderes machen müssen, als Stammtischparolen klopfen und alle paar Jahre für die gleichen Leute zu stimmen, die man zwischendurch ja so ungeheuer verachten tut.In den USA gehört zu den beliebten Beispielen von Verschwendung ein $400 Aschenbecher. Der wäre heute ungeheuer teuer – dabei geht die Geschichte mindestens seit den 1990ern herum, war also mal noch teurer (relativ).



Der fragliche Aschenbecher war aus Glas, und dafür gebaut, dass wenn er herunter fällt, er in Stumpfe Stücke zerbricht, an denen man sich nicht schneidet. Genauer, damit Ubootfahrer sich nicht schneiden, wenn plötzlich scharfe Manöver gefahren werden müssen, und der Aschenbecher vom Tisch rutscht.
Den billigen, kleinen, aus bruchsicherer Alufolie gestampften Aschenbecher, den es früher beim Mecces gab, hatte die US Navy scheinbar tatsächlich übersehen. Fest eingebaute Aschenbecher, wie man sie bis heute in allen Flugzeugtoiletten findet, übersah man vielleicht auch aus Prinzip.
Aber ein noch viel beliebteres Beispiel ist ein Kugelschreiber.
Es heißt, die NASA brauchte einen Kugelschreiber, mit dem Astronauten in der Schwerelosigkeit schreiben konnten.
Heute gibt es den fraglichen Kulli zwar allerorts für kleines Geld. Aber laut der Legende investierte die NASA Millionen Dollar in diesen Kugelschreiber, und das in den 1960er Jahren - als Millionen Dollar „noch richtig Geld waren“.
Die NASA investierte also Millionen in den Kugelschreiber – und die Russen nahmen einfach einen Bleistift.

Die Geschichte ist putzig, und sucht man online nach Fotos von Sojus (oder Soyuz) und Bleistift, dann sieht man ihn, den Kosmonauten-Bleistift. Ein einfacher Bleistift, am Armaturenbrett der Raumkapsel mit einem einfachen Stück Schnur angebunden, baumelt vor dem Start in der Kapsel.

Gräbt man aber etwas tiefer, dann steht die wunderbare Stammtischlogik plötzlich vor ein paar putzige Hindernissen.
So heißt es auf der einen Seite, die Sowjets benutzten keinen Bleistift – zumindest nicht zum schreiben. Der Stift an der Schnur war vielmehr ein improvisiertes Instrument.
Noch vor der Sojus, zu Zeiten der Wostok-, und Woschod-Kapseln, wollte ein Kosmonaut ein Instrument, an dem er auf einen Blick sehen konnte, ob die Kapsel beschleunigt. Und wünschte sich das so kurz vor dem Start, dass nicht einmal Zeit gewesen wäre, so ein Instrument zu justieren, geschweige denn, es einzubauen. Oder zu entwickeln.
Aber die sowjetischen Raumfahrer waren wenig mehr als erfinderisch und pragmatisch. So ein Instrument bräuchte nichts weiter, als seine eigene Trägheit, und etwas, um es fest zu halten. So wie wir im Auto beim Bremsen in die Gurte geworfen werden, so würde so ein Instrument zeigen, ob die Raumkapsel beschleunigt wird (für Physiker ist Abbremsen auch Beschleunigung, nur in die andere Richtung).
Jemand hatte einen Bleistift, jemand hatte ein Stück Schnur. Und so wurde, unmittelbar vor dem Start, das neu erfundene Instrument eingebaut und für gut befunden. Der Flug lief, so heißt es, ohne Probleme ab. Und da wäre der Grund, warum der Bleistift an der Leine auch auf viel neueren Fotos aus der Sojus auftaucht.
Die Kultur der Kosmonauten, Sowjetisch und Russisch, ist etwas abergläubisch. So wie Probleme pragmatisch und einfach gelöst werden, so werden gewisse Rituale streng befolgt.
Als Gagarin für seinen Raumflug an der Startrampe ankam wollte er sich vor der langen Reise noch einmal erleichtern.
Es gab aber kein Klo, weder an der Startrampe, noch in dem Bus, mit dem er dahin gefahren worden war.
So tat der pragmatische Fliegerleutnant, was ein pragmatischer Flieger tut. Er öffnete den Druckanzug und erleichterte sich am Hinterreifen des Busses, mit dem er gekommen war.
Und so tun es Kosmonauten bis heute, wie auch die mitreisenden Raumfahrer anderer Länder. Vor dem Flug wird am Hinterrad des Busses eine Stange Wasser abgestellt.
Und der Bleistift? Ja, weil der erste Flug damit ein Erfolg war sollte stets ein Bleistift an einem Stück Schnur mitfliegen.

Mehr aber auch nicht. Denn warum man z.B. bei der NASA keine Bleistifte mag hat ganz un-abergläubische Gründe.
Die Mine im Bleistift ist nicht aus Blei, sondern hauptsächlich aus Graphit, einer Form von Kohlenstoff. Schreibt man damit kratzt man einfach Graphitstaub ab, der am Papier hängen bleibt.
In der Schwerelosigkeit aber, da könnte ein Teil des Graphitstaubs entspannt wegschweben. Das ist in einem Raumschiff eher keine gute Idee, da dort vieles elektrisch ist, und die kleinen Partikel die der Bleistiftmine entfleuchen, die könnten Kurzschlüsse verursachen.
Und so kann man tatsächlich einen Kugelschreiber kaufen der in allen Lebenslagen schreibt – auch über Kopf und in der Schwerelosigkeit.

Die Millionen an Entwicklungskosten, die die NASA hierfür ausgab, gab aber die NASA gar nicht aus. Der berühmte Weltraumkugelschreiber war von einem Privatunternehmen entwickelt worden, auf eigene Kosten, ohne Beteiligung der NASA.
Denn zum einen schreiben auch ganz normal Kugelschreiber über Kopf (probier es aus). Zum anderen sind auch weder die NASA, noch deren Astronauten, auf den Kopf gefallen – und benutzten Filzstifte.

Damit könnte die Demontage der Stammtischanekdote über die Geldverschwendung am Weltraumkugelschreiber abgehakt sein.
Ist sie aber nicht.

Denn, tatsächlich. Selbst wenn die NASA sich vor Graphit fürchtet.
Selbst wenn man in Betracht zieht, dass es eine Bleistiftmine war, in der Graphen entdeckt wurde, eine Form des Kohlenstoffs, die Elektrizität noch besser leitet, als Kupfer.
So sind Kosmonauten, und sowjetische Raumschiffe, aus härterem Holz geschnitzt. Oder ihre Bleistifte sind es.

Waren es aber auch nicht immer.
Wenn am sowjetischen Raumfahrtprogramm auch vieles eher mit Spucke genagelt schien, an Schreibutensilien bekamen Kosmonauten nur das Beste. Mechanische Druckbleistifte, wie sie von Ingenieuren verwendet wurden. Die muss man nicht anspitzen, sind also durchaus sauberer als normale Bleistifte, und für Profis gibt es Profi-Werkzeug.
Mindestens zwei Stück waren wohl die vorgeschriebene Ausrüstung, und schon ab Gagarin flogen sowjetische Raumschiffe mit den Präzisionsschreibgeräten.
Während Graphitstaub in der Schwerelosigkeit wohl doch keine Schwierigkeit darstellte, so waren es aber die Druckbleistifte selber. So wie nie ein Kuli zur Hand ist, der schreibt, wenn man etwas notieren muss, entschwebten auch die Druckbleistifte dem Zugriff der Kosmonauten. Eine Raumkapsel ist zwar klein, aber hat reichlich Ecken und Lücken zwischen der Innenausstattung. Wer schon einmal versucht hat, das verdammte Feuerzeug von unter dem Beifahrersitz zu bergen, weil der Zigarettenanzünder im Arsch ist, wie es sich gehört. Der kann sich vielleicht vorstellen, wie man, eingepackt im Druckanzug und festgezurrt am Schleudersitz, das Schreibutensil abschreiben muss.
Und griff der Kosmonaut zu Druckbleistift Nummer zwei, dann brach meist die Mine ab.

Das Problem, wie man den Kosmonauten Schreibgerät gibt, dass wenn benötigt auch zur Hand und brauchbar ist, beschäftigte kluge Köpfe in der sowjetischen Raumfahrt. Wohl nicht die klügsten, denn das technisch aufwendigste Unterfangen der ganzen Ära hatte noch tausende andere Probleme zu bieten, die auch etwas ernster wahren.
Beim sechsten und letzten Flug einer einsitzen Wostok Kapsel wurde das Problem endlich gelöst, von der Besatzung.
Walentina Tereschkowa, heute Dr. Ing. Generalmajor (a.D.) Walentina Tereschkowa, stellte alle Probleme der Druckbleistifte im Fluge fest. Sie empfahl daraufhin, man sollte in Zukunft doch einen einfachen Bleistift benutzen, aus Holz, einen ganz einfachen Griffel – und diesen mit einem Stück Schnur befestigen, damit er nicht entschwebt und stets zur Hand ist. Einfacher geht`s nicht.

Man mag die weibliche Weisheit oder Intuition diagnostizieren, wenn man sieht, es brauchte bis zur ersten Frau im Weltraum, damit das Problem der entfesselten, und kaum brauchbaren, Präzisionsbleistifte gelöst wurde. Und zwar so, wie es auch jeder Heimwerker mit seinem Zimmermannsbleistift täte.
Man kann aber auch einfach die Schnauze halten, keinen solchen sexistischen Mist verbreiten, und einfach zugeben, dass jede Idee irgendwoher kommen muss – und halt genauso so gut von einer Frau kommen kann. Die später promovierte und zum Generalmajor der Luftstreitkräfte aufstieg, also fraglos etwas auf dem Kasten hatte.
Aber für so eine Idee muss man doch nicht sooo Intelligent sein?
Nein, muss man nicht. Trotzdem kein Grund zu unterstellen, dass Frauen nicht genau so gut denken, wie Männer, und irgendwelche Intuition fabulieren. Sowas gehört an den Stammtisch, nicht in die Erdumlaufbahn.

Und so fallen die Stammtischparolen in sich zusammen.
„Ja, für sowas ist Geld da!“, für Kugelschreiber die über Kopf schreiben, und gar nicht im Auftrag einer Behörde entwickelt wurden, weil man da schon längst den Filzstift entdeckt hatte.
Und fallen immer weiter, wenn historische Quellen einander widersprechen, und das ganze Problem am Ende gar von (oh Schreck!) einer Frau gelöst wurde, die neben ihrer Militärkarriere auch noch als Ingenieurin promovierte – und eben einfach der erste Mensch war, der in mitten des technisch kompliziertesten Unterfangens ihrer Ära eins von tausend Problemen löste.

Eine Regierung ist kein Raubtier, dass einem das hart verdiente Geld klaut und einfach auffrisst. Selbst wenn ein Glas-Aschenbecher auf einem Uboot widersinnig erscheint, ein Grund steckt in der Regel doch dahinter.

Vom Stammtisch aus kann man keine Volksvertreter zur Rede stellen, weder in den USA, noch hier. Und „Verschwendung“, die einem im Alltag begegnet, ist in der Regel ein Mückenfurz in mitten eines Orkans der Steuergeschenke und Leuchtturm-Projekte.

Während bei uns zum Beispiel die Schulen zerfallen und Straßen zerbröseln wird davon geredet, Flugzeugträger anzuschaffen. Milliardäre und Großkonzerne kaufen sich seit langem Parteien, um sich schöne Steuergeschenke schnüren zu lassen. Große Kunden großer Banken bedienen sich seit Jahrzehnten per „cum ex“ am Staatssäckerl, als gäbe es kein Morgen, und Politiker ignorieren es, oder blockieren sogar die Ermittlungen.
Weil Geldverschwendung, das ist, wenn alle Kinder in allen Schulen eine Chance und wenn nötig Hilfe bekommen sollen. Unberechtigte Ausgaben, das ist, wenn ein Arbeitsloser zwei Euro zu viel bekommt, und um diese Verschwendung zu ahnden und zwei Euro zurück zu holen, müssen halt schon mal zehn Euro ausgegeben werden.

Ja, „für sowas ist Geld da“. Aber Geschichten wie die vom Uboot-Aschenbecher, Weltraum-Kuli, und vom einfachen Bleistift an der Schnur, gibt es viele.
Wer sich außer am Wahltag nur am Stammtisch mit Politik beschäftigt, der darf auch nicht erwarten, da jemals richtig durch zu blicken, oder Rechenschaft zu bekommen.
Weil denen, die die Steuergeschenke verteilen, die sich ohne Not selbst in die Leibeigenschaft verkaufen, nur um weiter schöne Wahlkampfspenden zu kriegen. Denen gefällt es ganz gut, wenn der Wähler, ob ein Amerikaner oder Kartoffeldeutscher, lieber auf Kleinkram wie Kugelschreiber guckt und über Arbeitslose schimpft, statt sich mit der richtigen Verschwendung und Korruption zu beschäftigen.

Autor: "DerG"

Keine Kommentare: