Verschwendung?
In den USA ist es ein Gemeinplatz, dass die Regierung sinnlos Geld verschwendet. Man ist gern der Meinung, dass eine Regierung nicht etwa etwas vom Wähler demokratisch legitimiertes ist, das im Interesse der Menschen arbeiten sollte, sondern ein fremdes Raubtier, dass den armen arbeitenden Menschen ihr hart verdientes Geld wegnimmt.
Es gibt zwar das Sprichwort „Decisions get made by those who show up“, Entscheidungen werden von denen getroffen, die erscheinen (anwesend sind). Aber statt sich auch zwischen den Wahlen mit der Politik zu beschäftigen, statt die Vertreter in der Legislatur zur Rede zu stellen, werden lieber nur Sprüche über „die da oben“ herumgeworfen. Und vornehmlich unanfechtbare Beispiele davon, wie doch das Geld mit vollen Händen verschwendet wird. „Ja, dafür ist Geld da!“… halt, nein, das letzte ist mehr unsere kartoffeldeutsche Variante. Wo sich alle fürchterlich für die Politik interessieren, solang sie nix anderes machen müssen, als Stammtischparolen klopfen und alle paar Jahre für die gleichen Leute zu stimmen, die man zwischendurch ja so ungeheuer verachten tut.In den USA gehört zu den beliebten Beispielen von Verschwendung ein $400 Aschenbecher. Der wäre heute ungeheuer teuer – dabei geht die Geschichte mindestens seit den 1990ern herum, war also mal noch teurer (relativ).
Der fragliche Aschenbecher war aus Glas,
und dafür gebaut, dass wenn er herunter fällt, er in Stumpfe Stücke
zerbricht, an denen man sich nicht schneidet. Genauer, damit
Ubootfahrer sich nicht schneiden, wenn plötzlich scharfe Manöver
gefahren werden müssen, und der Aschenbecher vom Tisch rutscht.
Den billigen, kleinen, aus bruchsicherer
Alufolie gestampften Aschenbecher, den es früher beim Mecces gab,
hatte die US Navy scheinbar tatsächlich übersehen. Fest eingebaute
Aschenbecher, wie man sie bis heute in allen Flugzeugtoiletten
findet, übersah man vielleicht auch aus Prinzip.
Aber ein noch viel beliebteres Beispiel ist
ein Kugelschreiber.
Es heißt, die NASA brauchte einen
Kugelschreiber, mit dem Astronauten in der Schwerelosigkeit schreiben
konnten.
Heute gibt es den fraglichen Kulli zwar
allerorts für kleines Geld. Aber laut der Legende investierte die
NASA Millionen Dollar in diesen Kugelschreiber, und das in den 1960er
Jahren - als Millionen Dollar „noch richtig Geld waren“.
Die NASA investierte also Millionen in den
Kugelschreiber – und die Russen nahmen einfach einen Bleistift.
Die Geschichte ist putzig, und sucht man
online nach Fotos von Sojus (oder Soyuz) und Bleistift, dann sieht
man ihn, den Kosmonauten-Bleistift. Ein einfacher Bleistift, am
Armaturenbrett der Raumkapsel mit einem einfachen Stück Schnur
angebunden, baumelt vor dem Start in der Kapsel.
Gräbt man aber etwas tiefer, dann steht
die wunderbare Stammtischlogik plötzlich vor ein paar putzige
Hindernissen.
So heißt es auf der einen Seite, die
Sowjets benutzten keinen Bleistift – zumindest nicht zum schreiben.
Der Stift an der Schnur war vielmehr ein improvisiertes Instrument.
Noch vor der Sojus, zu Zeiten der Wostok-,
und Woschod-Kapseln, wollte ein Kosmonaut ein Instrument, an dem er
auf einen Blick sehen konnte, ob die Kapsel beschleunigt. Und
wünschte sich das so kurz vor dem Start, dass nicht einmal Zeit
gewesen wäre, so ein Instrument zu justieren, geschweige denn, es
einzubauen. Oder zu entwickeln.
Aber die sowjetischen Raumfahrer waren
wenig mehr als erfinderisch und pragmatisch. So ein Instrument
bräuchte nichts weiter, als seine eigene Trägheit, und etwas, um es
fest zu halten. So wie wir im Auto beim Bremsen in die Gurte geworfen
werden, so würde so ein Instrument zeigen, ob die Raumkapsel
beschleunigt wird (für Physiker ist Abbremsen auch Beschleunigung,
nur in die andere Richtung).
Jemand hatte einen Bleistift, jemand hatte
ein Stück Schnur. Und so wurde, unmittelbar vor dem Start, das neu
erfundene Instrument eingebaut und für gut befunden. Der Flug lief,
so heißt es, ohne Probleme ab. Und da wäre der Grund, warum der
Bleistift an der Leine auch auf viel neueren Fotos aus der Sojus
auftaucht.
Die Kultur der Kosmonauten, Sowjetisch und
Russisch, ist etwas abergläubisch. So wie Probleme pragmatisch und
einfach gelöst werden, so werden gewisse Rituale streng befolgt.
Als Gagarin für seinen Raumflug an der
Startrampe ankam wollte er sich vor der langen Reise noch einmal
erleichtern.
Es gab aber kein Klo, weder an der
Startrampe, noch in dem Bus, mit dem er dahin gefahren worden war.
So tat der pragmatische Fliegerleutnant,
was ein pragmatischer Flieger tut. Er öffnete den Druckanzug und
erleichterte sich am Hinterreifen des Busses, mit dem er gekommen
war.
Und so tun es Kosmonauten bis heute, wie
auch die mitreisenden Raumfahrer anderer Länder. Vor dem Flug wird
am Hinterrad des Busses eine Stange Wasser abgestellt.
Und der Bleistift? Ja, weil der erste Flug
damit ein Erfolg war sollte stets ein Bleistift an einem Stück
Schnur mitfliegen.
Mehr aber auch nicht. Denn warum man z.B.
bei der NASA keine Bleistifte mag hat ganz un-abergläubische Gründe.
Die Mine im Bleistift ist nicht aus Blei,
sondern hauptsächlich aus Graphit, einer Form von Kohlenstoff.
Schreibt man damit kratzt man einfach Graphitstaub ab, der am Papier
hängen bleibt.
In der Schwerelosigkeit aber, da könnte
ein Teil des Graphitstaubs entspannt wegschweben. Das ist in einem
Raumschiff eher keine gute Idee, da dort vieles elektrisch ist, und
die kleinen Partikel die der Bleistiftmine entfleuchen, die könnten
Kurzschlüsse verursachen.
Und so kann man tatsächlich einen
Kugelschreiber kaufen der in allen Lebenslagen schreibt – auch über
Kopf und in der Schwerelosigkeit.
Die Millionen an Entwicklungskosten, die
die NASA hierfür ausgab, gab aber die NASA gar nicht aus. Der
berühmte Weltraumkugelschreiber war von einem Privatunternehmen
entwickelt worden, auf eigene Kosten, ohne Beteiligung der NASA.
Denn zum einen schreiben auch ganz normal
Kugelschreiber über Kopf (probier es aus). Zum anderen sind auch
weder die NASA, noch deren Astronauten, auf den Kopf gefallen – und
benutzten Filzstifte.
Damit könnte die Demontage der
Stammtischanekdote über die Geldverschwendung am
Weltraumkugelschreiber abgehakt sein.
Ist sie aber nicht.
Denn, tatsächlich. Selbst wenn die NASA
sich vor Graphit fürchtet.
Selbst wenn man in Betracht zieht, dass es
eine Bleistiftmine war, in der Graphen entdeckt wurde, eine Form des
Kohlenstoffs, die Elektrizität noch besser leitet, als Kupfer.
So sind Kosmonauten, und sowjetische
Raumschiffe, aus härterem Holz geschnitzt. Oder ihre Bleistifte sind
es.
Waren es aber auch nicht immer.
Wenn am sowjetischen Raumfahrtprogramm auch
vieles eher mit Spucke genagelt schien, an Schreibutensilien bekamen
Kosmonauten nur das Beste. Mechanische Druckbleistifte, wie sie von
Ingenieuren verwendet wurden. Die muss man nicht anspitzen, sind also
durchaus sauberer als normale Bleistifte, und für Profis gibt es
Profi-Werkzeug.
Mindestens zwei Stück waren wohl die
vorgeschriebene Ausrüstung, und schon ab Gagarin flogen sowjetische
Raumschiffe mit den Präzisionsschreibgeräten.
Während Graphitstaub in der
Schwerelosigkeit wohl doch keine Schwierigkeit darstellte, so waren
es aber die Druckbleistifte selber. So wie nie ein Kuli zur Hand ist,
der schreibt, wenn man etwas notieren muss, entschwebten auch die
Druckbleistifte dem Zugriff der Kosmonauten. Eine Raumkapsel ist zwar
klein, aber hat reichlich Ecken und Lücken zwischen der
Innenausstattung. Wer schon einmal versucht hat, das verdammte
Feuerzeug von unter dem Beifahrersitz zu bergen, weil der
Zigarettenanzünder im Arsch ist, wie es sich gehört. Der kann sich
vielleicht vorstellen, wie man, eingepackt im Druckanzug und
festgezurrt am Schleudersitz, das Schreibutensil abschreiben muss.
Und griff der Kosmonaut zu Druckbleistift
Nummer zwei, dann brach meist die Mine ab.
Das Problem, wie man den Kosmonauten
Schreibgerät gibt, dass wenn benötigt auch zur Hand und brauchbar
ist, beschäftigte kluge Köpfe in der sowjetischen Raumfahrt. Wohl
nicht die klügsten, denn das technisch aufwendigste Unterfangen der
ganzen Ära hatte noch tausende andere Probleme zu bieten, die auch
etwas ernster wahren.
Beim sechsten und letzten Flug einer
einsitzen Wostok Kapsel wurde das Problem endlich gelöst, von der
Besatzung.
Walentina Tereschkowa, heute Dr. Ing.
Generalmajor (a.D.) Walentina Tereschkowa, stellte alle Probleme der
Druckbleistifte im Fluge fest. Sie empfahl daraufhin, man sollte in
Zukunft doch einen einfachen Bleistift benutzen, aus Holz, einen ganz
einfachen Griffel – und diesen mit einem Stück Schnur befestigen,
damit er nicht entschwebt und stets zur Hand ist. Einfacher geht`s
nicht.
Man mag die weibliche Weisheit oder
Intuition diagnostizieren, wenn man sieht, es brauchte bis zur ersten
Frau im Weltraum, damit das Problem der entfesselten, und kaum
brauchbaren, Präzisionsbleistifte gelöst wurde. Und zwar so, wie es
auch jeder Heimwerker mit seinem Zimmermannsbleistift täte.
Man kann aber auch einfach die Schnauze
halten, keinen solchen sexistischen Mist verbreiten, und einfach
zugeben, dass jede Idee irgendwoher kommen muss – und halt genauso
so gut von einer Frau kommen kann. Die später promovierte und zum
Generalmajor der Luftstreitkräfte aufstieg, also fraglos etwas auf
dem Kasten hatte.
Aber für so eine Idee muss man doch nicht
sooo Intelligent sein?
Nein, muss man nicht. Trotzdem kein Grund
zu unterstellen, dass Frauen nicht genau so gut denken, wie Männer,
und irgendwelche Intuition fabulieren. Sowas gehört an den
Stammtisch, nicht in die Erdumlaufbahn.
Und so fallen die Stammtischparolen in sich
zusammen.
„Ja, für sowas ist Geld da!“, für
Kugelschreiber die über Kopf schreiben, und gar nicht im Auftrag
einer Behörde entwickelt wurden, weil man da schon längst den
Filzstift entdeckt hatte.
Und fallen immer weiter, wenn historische
Quellen einander widersprechen, und das ganze Problem am Ende gar von
(oh Schreck!) einer Frau gelöst wurde, die neben ihrer
Militärkarriere auch noch als Ingenieurin promovierte – und eben
einfach der erste Mensch war, der in mitten des technisch
kompliziertesten Unterfangens ihrer Ära eins von tausend Problemen
löste.
Eine Regierung ist kein Raubtier, dass
einem das hart verdiente Geld klaut und einfach auffrisst. Selbst
wenn ein Glas-Aschenbecher auf einem Uboot widersinnig erscheint, ein
Grund steckt in der Regel doch dahinter.
Vom Stammtisch aus kann man keine
Volksvertreter zur Rede stellen, weder in den USA, noch hier. Und
„Verschwendung“, die einem im Alltag begegnet, ist in der Regel
ein Mückenfurz in mitten eines Orkans der Steuergeschenke und
Leuchtturm-Projekte.
Während bei uns zum Beispiel die Schulen
zerfallen und Straßen zerbröseln wird davon geredet, Flugzeugträger
anzuschaffen. Milliardäre und Großkonzerne kaufen sich seit langem
Parteien, um sich schöne Steuergeschenke schnüren zu lassen. Große
Kunden großer Banken bedienen sich seit Jahrzehnten per „cum ex“
am Staatssäckerl, als gäbe es kein Morgen, und Politiker ignorieren
es, oder blockieren sogar die Ermittlungen.
Weil Geldverschwendung, das ist, wenn alle
Kinder in allen Schulen eine Chance und wenn nötig Hilfe bekommen
sollen. Unberechtigte Ausgaben, das ist, wenn ein Arbeitsloser zwei
Euro zu viel bekommt, und um diese Verschwendung zu ahnden und zwei
Euro zurück zu holen, müssen halt schon mal zehn Euro ausgegeben
werden.
Ja, „für sowas ist Geld da“. Aber
Geschichten wie die vom Uboot-Aschenbecher, Weltraum-Kuli, und vom
einfachen Bleistift an der Schnur, gibt es viele.
Wer sich außer am Wahltag nur am
Stammtisch mit Politik beschäftigt, der darf auch nicht erwarten, da
jemals richtig durch zu blicken, oder Rechenschaft zu bekommen.
Weil denen, die die Steuergeschenke
verteilen, die sich ohne Not selbst in die Leibeigenschaft verkaufen,
nur um weiter schöne Wahlkampfspenden zu kriegen. Denen gefällt es
ganz gut, wenn der Wähler, ob ein Amerikaner oder
Kartoffeldeutscher, lieber auf Kleinkram wie Kugelschreiber guckt und
über Arbeitslose schimpft, statt sich mit der richtigen
Verschwendung und Korruption zu beschäftigen.
Autor: "DerG"
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