Der Begriff Demokratie begegnet uns scheinbar alltäglich in
Wissenschaft und Alltag, oft unter der Hinzuziehung und näher
bestimmt durch ein ihm beschreibendes Adjektiv, doch was verbirgt
sich hinter diesem Begriff? Welches Verständnis liegt dem Autor der
dieses Wort verwendet zugrunde und ist zum Beispiel ein
Wirtschaftssystem dasselbe wie ein politisches System?
Nur einige
aufgeworfene Fragen, um sich ein paar existierende unter der Vielzahl
unterschiedlicher und miteinander konkurrierender Demokratietheorien
zu vergegenwärtigen und zu hinterfragen. Die folgende Serie
nach und nach erscheinender Essays haben weder den Anspruch auf
Vollständigkeit noch das sie alle Kritikpunkte aufzeigen, sondern
bieten vielleicht einfach eine Grundlage zum selber lesen und
forschen. Vielleicht inspirieren sie ja auch den einen oder anderen
Stammtisch zur Analyse und Diskussion?Essay 1: Demokratie als Konkurrenz der Parteien um Wählerstimmen
Im Jahr 1942 veröffentlichte der Ökonom Joseph Alois Schumpeter sein Werk „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“, in dem er auch versuchte eine neue Demokratietheorie darzulegen. Entsprechend stellt er im 21. Kapitel seines Buches die klassische Demokratietheorie vor, um diese im Anschluss einer Kritik zu unterziehen. Hierbei geht er vor allem von Jean-Jacques Rosseaus „Gesellschaftvertrag“ aus, auch wenn er ihn nicht namentlich erwähnt. Im Zentrum seiner Kritik steht die Idee des Gemeinwohls, gleichzusetzen mit der volonté générale, das durch Entscheide des Volkes selbst in Streitfragen hervorgehen soll und der Wahl von Personen, die zusammentreten, um dieses auszuführen. Joseph Alois Schumpeter bestreitet die Existenz eines eindeutig bestimmbaren Gemeinwohls, über das sich das ganze Volk einig wäre oder zur Einigkeit gebracht werden könnte.
Selbst wenn es ein hinreichend bestimmbares Gemeinwohl gäbe, so Schumpeter weiter, z.B. nach dem Utilitaristen-Maximum wirtschaftlicher Bedürfnisbefriedigung, so würde es zwar Einigkeit über die Ziele geben, aber Uneinigkeit über die Schätzung gegenwärtiger gegenüber zukünftiger Bedürfnisbefriedigung, Sozialismus contra Kapitalismus und die Bekehrung jedes einzelnen Bürgers zum Utilitarismus. Letztendlich verflüchtigt sich bei ihm der Begriff des Gemeinwohls aufgrund seiner beiden vorangegangen Annahmen und er betrachtet den „Willen des Volkes“ als Erzeugnis und nicht als Triebkraft des politischen Prozesses. Schumpeter wendet sich gegen die Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger bei komplexen politischen Entscheidungen und verdeutlicht dies, in dem er zunächst Bedingungen für eine nicht utilitaristische Willensbildung in der Bevölkerung beschreibt: So müssten die idealen Bürger eindeutig Wissen für was sie sich jeweils unabhängig von einander einsetzen wollen. Tatsachen, die jedermann direkt zugänglich sind, richtig interpretieren und beobachten und nicht direkt zugängliche Informationen richtig sichten, um daraus klare und richtige Schlussfolgerungen auf die besonderen Probleme zu ziehen, wobei die Ansichten des einen als genau so gut die Meinung eines jedes anderen gelten könnte. Dieser Prozess müsste unabhängig von Propaganda und der Beeinflussung durch Parteien verlaufen. (S. 402) Die daraus resultierenden politische Entscheide brauchen jedoch nicht zwangsläufig mit dem Übereinstimmen „was das Volk wünscht.“Hingegen würden Regierungen für das Volk, in der eine Ordnung auferlegt wird, Resultate hervorbringen, die auf die Dauer gesehen sich als zufriedenstellend erweisen können. Die Regierung durch das Volk oft nicht entsprechen. Als untermauerndes Beispiel wird das Religionsabkommen von Napoleon angeführt. Gegen die Hypothese der Rationalität der Bürger sprechen nach Schumpeter die Erkenntnisse aus Le Bons „Psychologie der Mengen“ und von Ökonomen aus dem Bereich der Konsumentenforschung, die er auf politische Entscheidungsprozesse überträgt. Konsumentenentscheidungen beruhen nicht auf Rationalität, da die Bedürfnisse nicht so rasch und rational seien und werden sowohl durch Reklame als auch anderen Überredungskünsten beeinflusst. Die Individuen sind im Verlauf wiederholender Entscheidungsprozesse heilsamen und rationalisierenden Einflüssen günstiger und ungünstiger Erfahrungen ausgesetzt und stehen unter den Einfluss einfacher und unproblematischer Motive und Interessen, die nur gelegentlich durch Erregungen gestört werden. Mit der Zeit können zwar Konsumenten selbst zu Fachmännern werden, wenn nach langen Experimentieren das Produkt von seiner Irrationalität befreit wird und Handlungen nach unparteiischen Experten vollzogen werden, aber eben nur auf einen beschränkten Gebiet in ihrer unmittelbaren Lebenswirklichkeit. Die Irrationalität auf bestimmten Wissensgebieten besteht ohne die Initiative des Individuums fort, selbst bei optimaler Versorgung mit Informationen. Gemäß Schumpeter fallen Bürger bei politischen Prozessen ins Primitive zurück, da sie nicht mit ihrem vollen Interesse dabei sind und leicht irrationalen Trieben oder ihren Vorurteilen nachgeben könnten, selbst wenn es keine Beeinflussung durch Parteien gebe. Außerdem würden sich die Chancen für Gruppen erhöhen ihre Privatinteressen zu verfolgen je schwächer das logische Element in der öffentlichen Meinung ist und je vollständiger die rationale Kritik und Einfluss persönlicher Erfahrungen fehlt. Den Fortbestand der klassischen Demokratietheorie erklärt sich Schumpeter damit, das diese ähnliche Elemente enthält, wie eine Religion. Das utilitaristische Bekenntnis dient dabei als Ersatz für Religion und die Stimme des Volkes würde als Gottesstimme gesetzt. Das Postulat der Gleichheit findet sich auch als egalitäres Element im Christentum. Hinzukommt das mit den „Formen und Phrasen der klassischen Theorie“ Ereignisse und Entwicklungen jeweils in der „Geschichte der jeweiligen Nation“ verknüpft sind und in Redeweisen von Politikern wie z.B. „Im Namen des Volkes“ niederschlägt. Im 22. Kapitel breitet nun Schumpeter seine Demokratietheorie aus. Er definiert: „die demokratische Methode ist diejenige Ordnung der Institution zur Erreichung politischer Entscheidungen, bei welcher einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfs um die Stimmen der Volkes erwerben.“ (S. 428) Damit beschränkt sich die Rolle der Bevölkerung auf die Hervorbringung der Regierung oder dazwischen geschobenen Körperschaft, die ihrerseits eine Regierung hervorbringt und deren Absetzung. Dieser modus procedeni laut Schumpeter bildet das Kriterium zur Unterscheidung demokratischer Regierungen von anderen. Aus der Definition geht auch die Anerkennung und Akzeptanz der Führung hervor. Diese Führung sei „der beherrschende Mechanismus“ des kollektiven Handelns. Die Willensäußerungen von Gruppen bleiben nach dieser Theorie über Jahre latent, bis sie durch irgendeinen politischen Führer zum Ausdruck gebracht werden. Konkurrenzkampf um die Führung ist nach Definition auf die „Konkurrenz auf freie Stimmen“ beschränkt, wobei die Methode der Wahl als die einzig mögliche für Gemeinwesen aller Größen dargestellt wird. Dies schließt „unfaire“ oder „betrügerische“ Konkurrenz ein und das zwischen dem nicht existierenden Idealbild und der Verhinderung der Konkurrenz durch den regierenden Führer eine vielfältige Bandbreite von Variationen bestehen, in der die demokratische Regierungsmethode in eine autokratische übergehen könnte. Die Beziehung zwischen Demokratie und individueller Freiheit besteht laut Schumpeter im Prinzip darin, das jedermann die Freiheit hat, sich um die politische Führung zu bewerben, in dem er sich der Wählerschaft vorstellt und dies in vielen Fällen ein beträchtliches Quantum Diskussionsfreiheit für alle bedeute, also schließlich Pressefreiheit. Aber Schumpeter gibt zu bedenken, das die demokratische Methode nicht unbedingt ein größeres Maß an individueller Freiheit garantiert als eine andere politische Methode. Letztendlich löse seine Methode aber auch einen altes Problem der klassischen Lehre, die Unvereinbarkeit des Gemeinwohls oder „Wille des Volkes“ mit dem Wille der Mehrheit. Ein Problem das sich für seine demokratischen Methode nicht ergibt, da das Majoritätssystem hinreichende Entscheidungen hervorbringt und sichert, in dem die Zügel der Regierung jenen übergeben werden, die über mehr Unterstützung verfügten. Schumpeters Theorieansatz beschreibt radikal Demokratie als Markt und Wettbewerb der Parteien um die Wählerstimmen und unterstellt politischen Akteuren würden hauptsächlich nach Machterwerb und -erhalt streben. Es entfällt aber die inhaltliche Bestimmung des Begriffs „Demokratie.“ Ebenfalls berücksichtigt sein Ansatz nicht, das eine politische Gestaltung durch die jeweiligen Parteien und legitimitätsstiftende Werbung um neue Wähler, Mitglieder und neues Personal betrieben werden sollte, um die Macht zum regieren zu erlangen und sichern. Politische Gestaltung ist bei ihm bestenfalls ein Nebenprodukt. Kritisch ist ebenfalls die Rolle des Bürgers innerhalb seiner Theorie, da er einerseits ihnen sowohl die Befähigung zuspricht, durchaus eine Regierung oder Parlament zu wählen als auch abzusetzen und gegebenenfalls sich selbst sogar auf Führungspositionen zu bewerben, aber andererseits unterstellt das sie bei politischen Prozessen ins Primitive zurückfallen. Vernachlässigt werden auch außerparlamentarische Bewegungen und Akteure.
Autor: "lil"
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