Mittwoch, 15. Mai 2019

Essay 2 zu Friedrich August von Hayek: „Recht, Gesetzgebung und Freiheit“

„Meine Freiheit muß noch lang nicht deine Freiheit sein.
Meine Freiheit: Ja! Deine Freiheit: Nein! 
Meine Freiheit wird von der Verfassung garantiert, 
deine hat bis jetzt nicht interessiert."
Georg Kreisler (1985) 

In den 1973, 1976 und 1979 erschienen gesammelten Schriften „Recht, Gesetzgebung und Freiheit“ stellt der Ökonom Friedrich August von Hayek seine Theorie der spontanen Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, der kulturellen Evolution und seine Annahmen über die Gefährdung dieser Ordnung und der Demokratie dar.
Hayek konzipiert in den uns vorliegenden Auszügen eine funktionierende Marktwirtschaft als alternativlose spontane Ordnung, in der nicht vorausgesagt werden könne, wie gut es bestimmten Gruppen oder Individuen gehen wird. Jegliche Form von Eingriffe, vor allem aber die Umverteilung von materiellen Ressourcen, oder der Versuch einer zentralen Lenkung, „wo eine zum Zweck der Machtausübung organisierte Gruppe es bestimmt“, stellen eine Bedrohung für eine angebliche „Gesellschaft freier Individuen“ dar. (S. 204)
Die Hauptgefahren gehen einerseits von Regierungen aus, die zugunsten von Sonderinteressen bestimmten Gruppen Privilegien beziehungsweise „diskriminierenden Wohltaten“ gewähren und sich so ihre benötigte Mehrheit erkaufen und andererseits von konstruktivistischen Interpretationen der Gesellschaft mit einem verfehlten Verständnis von der Bedeutung des Begriffs Gerechtigkeit, die er allen anderen voran, der Linken attestiert. Gleichzeitig sollten aber z.B. Regierungen Kapital an Unternehmen verleihen, die sie als vielversprechend ansehen. (S. 183)

Den Gedanken der spontanen Ordnung überträgt Hayek auf die Gesellschaft. Gesellschaft definiert er als „Vielheit von gewachsenen und sich selbst erzeugenden Strukturen von freien Menschen.“ Kulturelle Evolution als ein Prozess von Versuch und Irrtum, in dem ständig neue Wege und Methode ausprobiert werden, bringt folglich Verbesserungen und Fortschritt in entwickelten Gesellschaften hervor, wobei schließlich eine Anpassung an sich stets veränderte Bedingungen erfolgt.
Der Staat bildet dabei jene notwendige Organisation des „Volkes eines Territoriums unter eine Regierung“, der sich auf die Setzung von erforderlichen Rahmenbedingungen zu beschränken hat, innerhalb dessen „sich-selbst-erzeugende Ordnungen“ bilden (S. 191 f) und die Individuen ihr Wissen für ihre eigenen Zwecken nutzen können. Die Machtausübung einer Regierung solle sich daher auf das Aussprechen von Verbote und deren Durchsetzung, notfalls mit Hilfe von Zwang und Gewalt, konzentrieren, d.h. sie soll nur Regeln negativen Charakters, die für alle ihrer Mitglieder zu gelten haben, festlegen und von besonderen Zwecken unabhängig sind. Entsprechend werden Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit negativ determiniert. Jedoch räumt Hayek ein, das diese durchaus auch positiv besetzt werden können und sich so zur „positiven Gewalt“ wandeln, wenn diese sich „selbst erzeugende Ordnung“ durch menschliche oder natürliche Kräfte gestört würden und so sich die Notwendigkeit - z.B. Notstandsgesetze zu erlassen - ergebe. Ansonsten wäre ausschließlich die Festlegung abstrakter Regeln wünschenswert, die sich aus der „unabänderliche Unkenntnis jedes einzelnen Gebiets oder jeder Ordnung, die menschlichen Handeln leiten kann,“ ergibt. (S.179 ff)
Auch Demokratie soll laut Hayek nur als negativer Wert definiert werden und stelle eine Verfahrensregel dar, die zum Schutz gegen Despotismus und Tyrannei diene. Diese Verfahrensregel beinhaltet lediglich die Hervorbringung und Absetzung einer Regierung als Vorsichtsmaßnahme gegenüber Machtmissbrauch und erlaube einen friedlichen Wechsel. Ohne diese Konvention könne diese Regierung in schlechte Hände fallen oder eine unbeschränkte Demokratie könne schlimmer als beschränkte Regierung anderer Art sein. Demokratie - Zeit seines Lebens - verdiene den Namen nicht mehr, da sie eine Maschinerie sei, „in der nicht die Mehrheit entscheide, sondern in der jedes Mitglied der Mehrheit zu vielen Bestechungen seine Zustimmung zu geben hat, um die Mehrheitsunterstützung für seine eigene Sonderinteressen zu erlangen.“
Und da alles zur politische Frage beschworen werden könne, würde ein immer größer Teil der menschlichen Aktivität von produktiven auf politische Anstrengungen umgelenkt – und dies würde sich nur auf die Maschinerie selbst beschränken, sondern schlimmer noch auf einen Apparat der Nebenregierung. (S. 189) Diese Nebenregierung sei der „schlimmste Inkubus“ der Druck auf Regierung ausübe und vor allem sind die Aktivitäten antisozial, da die besten Leute beider Seiten der „Sozialpartner“ mit der Aufgabe vertraut wären, die jeweiligen Zielen des jeweils anderen zu vereiteln – anstatt eben der produktiven Tätigkeit nachzugehen. Des weiteren sei die Position und Druck ungleichmäßig verteilt, wobei den Gewerkschaften mehr Macht zu gesprochen wird. So seinen Gewerkschaften dazu befähigt worden, andere Arbeiter auszubieten, in den sie jene der Gelegenheit „berauben“ würden, einer guten Beschäftigung nachzugehen oder gar Arbeiter behindern, eine Arbeit zu erledigen, die sie gerne täten. Aber um buchstäblich den „Schwarzen Peter“ den Gewerkschaften zuzuschieben, sollen Tarife die ökonomische Ordnung durch die „Notwendigkeit einer Inflation, vor die sie eine Regierung stellen können, die die Geldmenge kontrolliert,“ zerstören. (S. 196) Hayek gesteht den Individuen maximal ein bestimmtes einheitliches Minimaleinkommen zu, wenn die Dinge gänzlich schief laufen, alle Ansprüche darüber hinaus, wie z.B. Krankenversicherung oder die Sicherung relativer Einkommen diskreditiert er als „diskriminierenden Zwang“ in einer Gesellschaft freier Individuen. Die Erzielung von Einkünfte haben nach den Spielregeln des Marktes zu erfolgen. Auch hier wird deutlich das Hayek jeglichen Eingriff in die Wirtschaftsordnung entschieden ablehnt. Das er Gesellschaft letztendlich mit der Wirtschaft gleichsetzt, geht aus dem Satz hervor: „Die große Gesellschaft kann nur eine abstrakte Gesellschaft sein - eine Wirtschaftsordnung, von der der Einzelne profitiert, in dem er Mittel für seine Ziele und der er seinen Beitrag leisten muss.“(S. 199)
Eine weitere Bedrohung stellt die Bürokratie einer zentralen Regierung dar, daher plädiert er für Verlagerung der Innenpolitik auf lokale Regierungen bzw. eine dezentralisierte hierarchische Struktur nach föderativen Prinzipien, in dem das Zwei-Kammer-System seine Funktion dadurch erreicht, das einmal entsprechend der Anzahl der Köpfe und einmal entsprechend der Anzahl der in der Zentralversammlung repräsentierenden Staaten gestimmt würde. Als wünschenswert sieht Hayek an, wenn sich die föderativen Regierungen auf die eigentliche Regierung beschränken und nur jeweils eine legislative Versammlung für die gesamte Förderation stattfindet. Außerdem wären zentrale Regierungen aufgrund des Ausschlusses durch übernationale Organisationen von Krieg in Europa keine Notwendigkeit mehr. (S. 182)
Diese lokal und regionale Regierungen sollen sich zu quasi-kommerzielle Unternehmen umwandeln, indem sie jeweils mit der angebotenen Vorteilen und Kosten in den Wettbewerb um Bürger treten. Damit könnte das einzelne Individuen in jenen Rahmen auch wieder Einfluss auf die Formung seiner unmittelbare Umgebung ausüben. Hayek unterstellt Menschen, das sie nicht rational Lage seien, ökonomische Prozesse und dessen Ziele zu begreifen.
Des weiteren plädiert er für die Privatisierung aller öffentlicher Dienstleistungen, mit Ausnahme, dass das Monopol der Regierung gewahrt werden muss, Recht zu erhalten und durchzusetzen und zu diesem Zwecke eine bewaffnete Macht zu unterhalten.
Meiner Ansicht nach stellt das Lied „Meine Freiheit, Deine Freiheit“ von Georg Kreisler die kürzeste Zusammenfassung von Hayeks Theorie dar. Die Rhetorik zur Verteidigung liberaler Grundwerte wie Freiheit und Individualismus verdeckt im erstem Moment das es im primär um die Partikularinteressen der Unternehmer geht und der Unterordnung der Individuen, vor allem der Arbeiter, unter den Spielregeln des Marktes. Auch die Erzielung eines Einkommens habe nach diesen Spielregeln zu erfolgen, während es zur Pflicht der Regierung wird zur repressiven Maßnahmen zu greifen, wenn z.B. von Gewerkschafter gestreikt würde. Die Beschränkung der Regierung auf den Erlass und die Durchsetzung von Verbote trägt somit massiv autoritäre und repressive Züge, da ihr die Aufgabe zukommt, die Struktur des Marktes als angeblich spontane Ordnung zu bewahren und vor allem die Autonomie des Eingentürmers zu sichern. Entsprechend kann jede/r, der entweder unter den Vorwand „soziale Gerechtigkeit“ z.B. für gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit oder sich für jeweils die Recht auf Unversehrtheit am Arbeitsplatz einsetzt, zufolge in einem Kollektiv zusammenschließt, ins Visier staatlicher Zwangsmaßnahmen geraten.
Antiaufklärerisch wird diese Theorie, da sich diese spontane Ordnung durch kulturelle Evolution - über hunderte Jahre - unbewusst entwickelt und damit nicht verstanden werden kann und somit es unmöglich wird, diese grundlegend zu verändern. Hayeks Theorie ist antiegalitär und läuft schließlich auf das „Recht des Stärkeren“ hinaus. Noch deutlicher geht dies aus einem geführten Interview von Stefan Baron mit Hayek am 6. März 1981 hervor: „Ungleichheit ist nicht bedauerlich, sondern höchst erfreulich. Sie ist einfach nötig. Leider Gottes ist das Sozialprodukt nur da, weil Menschen nach ihrer Produktivität entlohnt und dorthin gelockt werden, wo sie am meisten leisten. Gerade die Unterschiede in der Entlohnung sind es, die den einzelnen dazu bringen, das zu tun, was das Sozialprodukt entstehen lässt. Durch Umverteilung lähmen wir diesen Signalapparat. Und nicht nur das: Wir unterbinden auch die ständige Anpassung an sich laufend verändernde Umstände, durch die allein die Wirksamkeit unseres Produktionsapparates erhalten werden kann, Umstände, von denen der einzelne nichts weiß, über die er nur durch den Marktmechanismus informiert werden kann.“ Zugespitzt auf den Nord-Süd-Konflikt argumentiert Hayek schließlich: „Sehen Sie, in den nächsten 20 Jahren soll sich die Weltbevölkerung erneut verdoppeln. Für eine Welt, die auf egalitäre Ideen gegründet ist, ist das Problem der Überbevölkerung aber unlösbar. Wenn wir garantieren, dass jeder am Leben erhalten wird, der erst einmal geboren ist, werden wir sehr bald nicht mehr in der Lage sein, dieses Versprechen zu erfüllen. Gegen die Überbevölkerung gibt es nur eine Bremse, nämlich dass sich nur die Völker erhalten und vermehren, die sich auch ernähren können.“

Eine von meiner Kritik abweichende, jedoch nicht weniger zugespitzte Kritik am Gesamtwerk F.A.v. Hayeks vertreten unter anderem Christoph Butterwegge, Bettina Lösch und Ralf Ptak in ihrem Buch „Kritik des Neoliberalismus“ (Wiesbaden 2007). Sie verweisen auf die „konservativ-autoritären Züge des Ordoliberalismus“ und sehen generell die Ordo- bzw. Neoliberalen in der Nähe zumindest befristete Diktatur befürwortender Feinde der Weimarer Republik wie Carl Schmitt. Hayek selbst verschleiere durch seine „Selbstinszenierung als Hüter liberaler Werte“ den „autoritären Charakter“ seiner Ausführungen. Sein Individualismus stünde letztlich für Anpassung an, seine Vorstellung von Freiheit für Unterwerfung gegenüber den Marktverhältnissen.

Autor: "lil"

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